Reisebericht 23 vom 24.03.07 - 18.04.07: Nord-Peru - Eine Reise in die Vergangenheit


Route: La Balza - Chachapoyas - Kuelap - Lambayeque - Chiclayo - Cajamarca - Huanchaco - Chan Chan - Trujillo - Caraz - Huaraz - Lima


Unser Empfang in Peru hätte nicht herzlicher sein können. Der Zollbeamte im winzigen Grenzort La Balza bietet uns, seinen deutschen Freunden, zwei Becher Sojamilch an, sein Mitarbeiter schenkt uns Mandarinen. Dann werden sorgfältig die Papiere für die Fahrzeugeinfuhr ausgestellt. Unser Dokument hat die Nummer 2007-001. Wir sind das erste Auto, das dieses Jahr den Grenzübergang passiert. Auch auf der weiteren Strecke werden wir mit großem Hallo begrüßt. »Bienvenidos amigos - willkommen Freunde«, schallt es uns immer wieder entgegen. Kinder laufen aufgeregt hinter unserem Landy her. Bauern lassen ihre Arbeit ruhen, um uns zuzuwinken. Frauen kommen aus ihren Lehmhäusern und schauen uns mit großen Augen nach.

 

Die Straße zwischen San Ignacio und Bagua Grande wurde irgendwann einmal asphaltiert und ist es auch jetzt noch zur Hälfte. Die andere Hälfte ist eingebrochen, vom Wasser weggespült, verschwunden. Übrig geblieben sind Risse, Rillen und tiefe Löcher, die das Autofahren zum Hindernislauf werden lassen. Auch der weitere Verlauf der Strecke von Pedro Ruiz nach Chachapoyas ist nicht besser. Gut durchgeschüttelt und eingeschlammt kommen wir in dem freundlichen und friedlichen Kolonialstädtchen an, dem Ausgangspunkt unserer ersten Ruinenbesichtigung in Peru.

 

Die meisten Menschen verbinden Peru sofort mit den Inkas und deren Bauwerken. Dabei gab es in Peru im Laufe der Geschichte die unterschiedlichsten Kulturen, die vor allem im Norden des Landes ihre Spuren hinterlassen haben. Unsere Reise in die Vergangenheit beginnt in Kuelap. Schon die Anfahrt zu der hoch auf einem Bergrücken gelegenen Anlage ist ein Abenteuer. Nach etwa 15 Kilometern endet die breite, gut ausgebaute Strecke und geht in eine schmale, schlammige Piste über. LKWs und Baufahrzeuge haben tiefe Furchen in den Schlamm gefahren. Die restlichen 15 Kilometer schlittern wir mehr als wir fahren - ein Auge immer auf den steilen Abhang neben uns gerichtet. Die Anlage von Kuelap entstammt der Chachapoyas-Kultur (900 - 1400 n. Chr.) und ist ein architektonisches Meisterwerk. 30 Mann genügten, um die Anlage zu verteidigen und die Angriffe der Inkas erfolgreich abzuwehren. Lediglich drei schmale Gänge, nach oben hin enger zulaufend, führen durch die dicke Außenmauer ins Innere und machen die Anlage quasi uneinnehmbar. Auf drei Ebenen befinden sich über 100 Gebäude unterschiedlicher Bauart. Bis jetzt wurde gerade mal die Hälfte der Anlage restauriert, der Rest ist von Pflanzen überwuchert und unter Baumwurzeln verborgen. Doch gerade das macht den Charme von Kuelap aus. Wir bahnen uns unseren Weg durchs Dickicht und fühlen uns ein bisschen wie Entdecker.

 

In Lambayeque, einer staubigen und knochentrockenen Wüstenstadt an der Küste, machen wir die Bekanntschaft des Herrn von Sipán. Er wurde vermutlich 300 n. Chr. geboren und verstarb im Alter von 66 Jahren. Sein Grab, das noch unversehrt war, als man es fand, gab reichlich Aufschluss über das Leben der Moche-Kultur. Als wir im Museum den Goldschmuck aus jener Zeit bewundern, stelle ich mit Freude fest, dass die Mochica damals schon Nasenringe trugen. Nur die Ohrpflöcke mit den großen und schweren Scheiben sind nicht so ganz mein Fall…

 

Nach den vielen toten Gebeinen im Museum und an der Ausgrabungsstätte steht uns der Sinn wieder nach ein bisschen mehr Leben. Wir besuchen den Hexermarkt von Chiclayo. Doch statt okkulter Schamanenriten finden wir nur gelangweilt dreinschauende Händler, die neben einzelnen Schlangenhäuten und Dachsfellen hauptsächlich getrocknete Kräuter und kleine, mit bunten Steinen gefüllte Fläschchen anbieten. Letztere sollen Glück bringen.

Vielleicht hätten wir doch besser eins kaufen sollen …

 

Und auch Atahualpa, der letzte Inka-Herrscher, hätte einen Glücksbringer bitter nötig gehabt. Als er sich im November 1532 in den Thermen bei Cajamarca, den »Banos del Inca«, von den Strapazen des Kriegszugs gegen seinen Bruder erholte, kam der Spanier Pizarro vorbei, nahm ihn gefangen und ließ ihn ein Jahr später hinrichten. Heute befinden sich neben den alten Inkabädern moderne Thermalbäder für jedermann.

 

Cajamarca glänzt mit einem wunderschönen kolonialen Altstadtkern. Drum herum tobt jedoch das Chaos. Die Verkehrsführung ist mehr als unübersichtlich, das Gewirr aus Einbahnstraßen kaum zu durchblicken. Die Fahrweise der Peruaner ist zudem so offensiv, dass sie unsere volle Aufmerksamkeit fordert. Jeder fährt wie und wohin er will. Die meisten Autos haben weder Lichter, noch Blinker oder Spiegel. Wozu auch? Wer zuerst hupt, hat Vorfahrt. Und wer bremst, verliert. Der Peruaner nimmt seinen Fuß so gut wie nie vom Gas. Er bremst weder für Tiere noch für Fußgänger - und für andere Autos schon gar nicht. Nach einem entspannten und interessanten Ausflug nach Cumbemayo - bizarre Felsformationen, Petroglyphen und ein mehrere Kilometer langes Aquädukt aus der Cajamarca-Kultur (ca. 1500 v. Chr.) - geht es zurück ans Meer.

 

Huanchaco ist alles andere als ein verschlafenes und verträumtes Fischerdorf. Hier steppt der Bär. Unzählige Touristen aus allen Ländern, darunter auch viele peruanische Ausflügler, tummeln sich entlang der Uferpromenade. Zwar stehen etliche der tradtionellen Schilfrohrboote am Strand, doch nur noch selten wird eines der »caballitos de totora« ins Wasser gelassen, um damit auf Fischfang zu gehen. Auch das gehört mittlerweile schon beinahe der Vergangenheit an.

 

Nicht weit entfernt, ebenfalls an der Küste, stehen die Überreste der einstmals größten Stadt Südamerikas. Chan Chan, komplett aus Lehm gebaut, soll

100.000 Einwohner gehabt haben und stammt aus der Chimu-Kultur (1000-1450 n. Chr.). Die Straße von Trujillo nach Huanchaco führt direkt zwischen den alten Lehmmauern hindurch. Obwohl Regenfälle und Stürme den Mauern stark zugesetzt haben, wirken die labyrinthartigen Gänge und die verzierten Mauern noch immer sehr beeindruckend. Als Wüsten- und Küstenvolk waren die Chimors auf Wasser aus den Bergen angewiesen und erbauten zu diesem Zweck kilometerlange Aquädukte. Als die Inkas auf ihrem Eroberungsfeldzug die Chimors mit Waffengewalt nicht besiegen konnten, gruben sie ihnen einfach das Wasser ab und zwangen sie so zur Kapitulation. Das Sammelticket von Chan Chan berechtigt uns auch zum Besuch des Museums sowie der Huaca de la Esmeralda und der Huaca del Dragon. Letztere fasziniert durch ihre einmaligen Wandreliefs. Wegen der vielen Regenbogen-Reliefs wird die Pyramide auch »Huaca Arco Iris« genannt.

 

Zurück zur Moche-Kultur (0-800 n. Chr.). Wir besuchen die Mondpyramide »Huaca de la Luna«, die ebenso wie die Sonnenpyramide »Huaca del Sol« ein wichtiges religiöses Zentrum der Mochica war. Die Mondpyramide besteht eigentlich aus mehreren aufeinander gebauten Pyramiden, jede immer größer und höher als die vorige. Bis jetzt sind fünf Schichten freigelegt. Prächtige, farbige Reliefs an den Wänden zeigen den Schöpfergott und sowie Opferrituale.

Bevor wir uns auf den Weg durch die Entenschlucht, den Canon de Pato, machen, wollen wir noch schnell unsere Stoßdämpfer reparieren lassen. Gemäß lateinamerikanischer Logik baut der Mechaniker erst alle vier Stoßdämpfergummis aus, um dann festzustellen, dass er keine passenden Ersatzteile hat. Als diese endlich doch auftauchen, bricht er beim Anziehen der Schrauben die Stoßdämpferaufhängung am Fahrzeugrahmen ab. Wir holen »El Jefe« und schockieren ihn, indem wir ihm vorrechnen, was der Expressversand eines Ersatzteils von Europa nach Peru kostet. Wir einigen uns schließlich darauf, dass er das Teil »restauriert«. Vier Stunden später ist der Landy wieder fahrbereit. Doch Tobias hat noch nicht genug. In einer anderen Werkstatt lässt er den kaputten Unterbodenschutz, den wir am Chimborazo eingebüsst hatten, wieder zusammenflicken und annieten. Er klappert bereits als wir vom Hof fahren. Gerade mal hundert Kilometer später fällt er erneut ab - ironischerweise auf dem asphaltierten Mittelstück im Canon de Pato.

 

Die 180 km Cordillera Blanca mit ihren teilweise über 6000 Meter hohen schneebedeckten Gipfeln ist das Bergsteigerparadies schlechthin. Leider sind wir zu früh dran. Die Saison beginnt erst im Mai. Wir fahren stattdessen zur Laguna Parón, um das Bergpanorama hinter türkisblauem Wasser zu genießen.Weiter geht’s zu den Lagunen Llanganuco, zu den bis zu 10 Meter hohen Bromeliengewächsen »Puya Raimondi« und dem Pastoruri-Gletscher. Da diese alle im Nationalpark Huascaran liegen, wird Eintritt fällig. Ein ganz cleverer Kopf hat sich dabei ein raffiniertes System ausgedacht. Es gibt Tagestickets oder Monatstickets, aber nichts dazwischen. Wer im Park  campen will, also mindestens zwei Tage im Park verbringt, muss zwangsläufig ein Monatsticket kaufen. Und natürlich obendrein noch Campinggebühr entrichten. Allerdings gibt es nur auf der Seite Richtung Caraz und Huaraz ein Wärterhäuschen. Fährt man die Straße durch den Park weiter bis auf die andere Seite der Cordillera, kann man ein- und ausgehen wie man will und sooft man will.

 

Das älteste Steinbauwerk Perus, Chavín de Huántar, liegt auf der Ost-Seite der Cordillera Blanca und wurde etwa 1000 v. Chr. errichtet - nicht als Stadt, sondern als religiöses und kulturelles Zentrum. Die Anlage wurde nach Osten ausgerichtet, die Wände waren mit Tiermotiven verziert, von der Außenmauer blickten in Stein gemeißelte Köpfe herab. Doch den eigentlichen Reiz der Anlage machen die gut erhaltenen unterirdischen Gänge und Kammern aus. Hierher zogen sich die Priester zurück, um zu meditieren, um Opfer darzubringen und zeremonielle Handlungen auszuführen. In der Mitte der labyrinthartigen Gänge steht eine riesige steinerne Stele, »el lanzón«.

 

Und dann passiert’s. Auf dem Weg zurück zur Küste kommt uns in einer Linkskurve ein Sattelschlepper entgegen - dummerweise auf unserer Spur. Tobias reißt das Lenkrad nach rechts, so weit es die Begrenzungspfosten am Straßenrand zulassen. Ich sehe den riesigen, runden Kotflügel des Trucks am Fenster vorbeiflitzen und will schon aufatmen - da kracht er in unsere linke, hintere Seite. Nach dem ersten Schreck folgt die Bestandsaufnahme. Der Landy hat ein paar Schrammen im Lack und das Blech am Heck ist aufgerissen. Aber er steht noch. Und er ist fahrtüchtig. Auch uns ist nichts passiert. Wir verzichten darauf, die Polizei zu holen. Schließlich steht in jedem Reiseführer, dass den Touristen prinzipiell erst einmal die Schuld zugesprochen wird und dies nicht selten mit einem Aufenthalt im Gefängnis endet - so lange bis die Unschuld bewiesen oder eine höhere Geldsumme gezahlt wurde.

 

Einen ganzen Tag lang suchen wir in der 10-Millionen-Stadt Lima nach einer geeigneten Werkstatt. Die eine verkauft nur Ersatzteile, baut sie aber nicht ein. Die andere ist ein Wohnhaus mit Werkstatt auf der Straße. Die dritte schließlich macht einen vernünftigen Eindruck. Wir verbringen einen weiteren Tag damit, den Landy wieder herrichten zu lassen. Das aufgerissene Blech wird gerade gebogen und geschweißt. Die Dellen werden ausgeklopft, die Schrammen auspoliert, die Seite neu lackiert. Wir lassen auch gleich einen neuen Unterbodenschutz anfertigen und die Bremsbeläge austauschen. Und weil wir schon dabei sind, Geld auszugeben, bekommt der Landy auch noch

neues Öl und neue Reifen. Als das alles erledigt ist, können wir uns mit gutem Gewissen unserem Besuch widmen. Tobias’ Eltern haben gerade ihre Rundreise durch Peru beendet und wir treffen uns für vier Tage in Lima.


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