Reisebericht 22 vom 23.02.07 – 24.03.07: Ecuador - Kutteln mit Kakao


Route: Tulcán – Otavalo – Laguna Mojanda – Laguna Cuicocha – La Esperanza – Olmedo – Cayambe – Quito – Cotopaxi – Machachi – Quito – Mindo – Saquisili – Illiniza – Zumbahua – Laguna Quilotoa – Chugchilan – Urbina – Riobamba – Chimborazo – Banos – Puyo – Macas – Cuenca – Loja – Vilcabamba – Zumba – La Balsa


Das elfte Land auf unserer Reise ist zwar der kleinste unter den Andenstaaten, kann dafür allerdings mit einigen der höchsten Berge Südamerikas aufwarten. Über 50 Vulkane  soll es in Ecuador geben, etwa 18 davon gelten als aktiv und werden von Vulkanologen ständig überwacht. Die Vulkangipfel bilden zusammen eine Kette, die sich von Nord nach Süd durchs halbe Land zieht, und die Alexander von  Humboldt poetisch „die Straße der Vulkane“ getauft hat. Tobias ist in seinem Element. Seit Tagen redet er von nichts anderem mehr als vom Bergsteigen. Doch unser erster Gang führt uns auf den Friedhof von Tulcán. Der schönen Hecken wegen. Die „Esculturas en verde“, jene kunstvoll in Form gebrachten Bäume und Büsche, stellen Figuren aus sämtlichen südamerikanischen Stilepochen dar.

 

Als wir – noch immer zu viert mit Liz und Colin unterwegs – in Otavalo unseren Übernachtungsplatz ansteuern, sind wir plötzlich zu sechst. Auf dem Parkplatz steht ein gelber VW-Bus aus Berlin. Er gehört Thekla und Flo. Tobias findet in Flo einen Gleichgesinnten. Sofort schmieden die beiden Pläne, wann und wie sie welche Berge bezwingen könnten. Die Männer aus Otavalo tragen weiße, knöchellange Hosen, blaue Ponchos und lange Zöpfe. Die Frauen hüllen sich in dunkle, wollene Röcke und putzen sich mit bestickten Blusen und jeder Menge Goldketten heraus. Vor allem  samstags. Denn dann ist Markt. Für uns heißt das früh aufstehen, denn der Viehmarkt fängt im Morgengrauen an und ist um 9 Uhr bereits wieder zu Ende. Tapfer bahnen wir uns unseren Weg durch quiekende Schweine, schnaubende Bullen, blökende Schafe und stoische Esel. Für etwa 200 Dollar wechseln Rinder die Besitzer. Ein Pferd kostet um die 700 Dollar. Nachdem wir das also geklärt hatten, geht’s weiter zum Wochenmarkt in die Stadt. Neben Obst und Gemüse gibt es auch jede Menge Kunst und Kitsch speziell für Touristen – hübsch präsentiert und dreimal so teuer wie nebenan an den weniger schönen Ständen, an denen die Einheimischen kaufen. In einer der Nebenstraßen kaufen wir zwei Wollmützen. Eine für Colin, eine für mich. Beide zusammen für drei Dollar.

 

Auf einer ausgewaschenen Sandpiste geht’s als nächstes einmal um die Laguna Mojanda herum und weiter zur Laguna Coicocha. In Cayambe probieren wir natürlich erst einmal den „Queso de hoja“, einen würzigen weißen Käse,  und die „Bizcochos“, Biskuit-Kekse, die am besten noch warm gegessen werden. Dann starten wir zu einer malerischen Rundfahrt durchs Hinterland auf einer alten, gepflasterten Inkastraße. Die 40 Kilometer lange Strecke führt uns durch winzige Ortschaften. Hinter den Häusern ziehen sich die bestellten Felder wie ein bunter Flickenteppich die Berghänge hinauf. Und dann kurz hinter Cayambe passieren wir – endlich – den Äquator und betreten die Südhalbkugel. Ein großes, rotes Schild weist auf ein eher unscheinbares Monument oberhalb der Straße hin, mit einer in den Boden eingelassenen Metallschiene, die den Verlauf der berühmten Nulllinie markiert. Unser GPS-Gerät zeigt exakt „Nord 0 Grad“ an. Wir packen unseren Wasserkanister und einen Trichter aus, um im Eigenexperiment herauszufinden, ob der Wasserstrudel diesseits und jenseits des Äquators tatsächlich in unterschiedlichen Richtungen abfließt. Er tut es! Und auf der Linie? Da fällt das Wasser einfach nach unten.

 

Die Fahrt nach Quito und durch Quito ist bei weitem nicht so schlimm, wie wir uns das vorgestellt hatten. Zweispurige Straßen, gute Beschilderung, verhältnismäßig wenig Verkehr. Tobias und ich klappern die Bergausrüster und Touranbieter ab, um Infos über Bergführer und mögliche Routen zu erfahren. Ein mühsames Unterfangen. Nach dem Besuch des „Ecuadorian Alpine Instituts“ sind wir ziemlich frustriert. Eine geschlagene Stunde mussten wir uns Horrorgeschichten anhören: Auf dem Parkplatz vor dem Refugio des Cotopaxi werden angeblich die Autos aufgebrochen. Auf dem Parkplatz zum Illiniza Norte werden die Reifen zerstochen. An einigen Berghängen quert man Privatbesitz und wird daran schon mal mit vorgehaltener Waffe gehindert – es sei denn, man zahlt die viel zu hohe Maut. Manchmal werden Bergsteiger auch überfallen. Auch dann, wenn sie mit einem Guide unterwegs sind. Wir buchen keine Tour bei dem Institut. Stattdessen fahren wir in den Cotopaxi-Nationalpark und treffen uns mit Thekla und Flo. Als wir den Eingang erreichen, ist es bereits nach 16 Uhr. Um 15 Uhr schließt der Park offiziell. Warum auch immer. Der Wärter an der Schranke will uns zuerst nicht durchlassen, dann überlegt er es sich anders, kassiert das Eintrittsgeld ohne Quittung, 10 Dollar pro Person, steckt es in die – vermutlich eigene – Tasche und winkt uns durch. Nach einem Spaziergang um die Laguna Limpiopungo fahren wir hoch zum Parkplatz unterhalb des Cotopaxi-Refugios (4600 m). Tobias und Flo organisieren sich im Refugio einen Bergführer. Bei der Gelegenheit erkundigen sie sich gleich, wie es denn so um die Sicherheit im Park bestellt ist – und bekommen den dringenden Rat, die Fahrzeuge im Park niemals unbeaufsichtigt zu lassen. Nicht umsonst schlafen die Tourbus-Fahrer sogar auf 4600 Meter Höhe nachts in ihren Bussen.

 

Mit 5.897 Metern Höhe ist der Cotopaxi der höchste freistehende aktive Vulkangipfel der Welt. Der Aufstieg, obwohl über Schnee und Eis, ist technisch nicht schwierig. Die Seilschaften starten normalerweise kurz nach Mitternacht, um wieder zurück zu sein, bevor der Schnee weich wird. Während also Thekla und ich bei den beiden Fahrzeugen Wache schieben, machen sich Tobias und Flo auf den Weg zum Gipfel. Etwa tausend Höhenmeter sind vom Refugio aus noch zu überwinden. Es geht immer steil bergauf und es ist eisig kalt. Minus 15 Grad und Schneesturm. Die Brillen, die Rucksäcke, der Fotoapparat – alles vereist. Oben am Gipfel kann man keinen halben Meter weit sehen, geschweige denn in den Krater hinabblicken. Entsprechend kurz fällt der Aufenthalt am Gipfel dann auch aus.

 

Dann fahren wir noch einmal nach Quito zurück – um uns die Stadt anzusehen und um uns von Liz und Colin zu verabschieden, bevor die beiden auf die Galapagos-Inseln fliegen. In Quito ist es nicht einfach, einen sicheren Parkplatz zu finden. Umso erfreuter sind wir, als uns ein Freund mailt, dass eine ehemalige Arbeitskollegin Verwandte in Quito hätte (danke Tommi). Diese stellt sofort den Kontakt zu ihrem Bruder her (danke Gabi), der wiederum mit einem Freund klärt, dass wir uns auf dessen Parkplatz stellen dürfen (danke Fred, danke Erich). Der Parkplatz liegt auf dem Gelände eines Hostals – und so kommen wir nicht nur in den Genuss sauberer Toiletten, sondern auch eines leckeren Mittagessens (danke Hubert).

 

Da das Auto nun sicher hinter Eisentor und Stacheldrahtzaun untergebracht ist, lassen wir es stehen und fahren mit dem Trole-Bus ins Zentrum. Wir stehen dicht gedrängt, wie die Ölsardinen in der Dose. Als drei Frauen einsteigen, habe ich gleich ein ungutes Gefühl. Sie versuchen nur halbherzig, sich irgendwo festzuhalten und fallen unter lautem Gelächter immer wieder auf die umstehenden Fahrgäste. Als ich eine Hand an meiner Hosentasche spüre, drehe ich mich abrupt weg, doch das nutzen die drei schamlos aus, um sich endgültig zwischen Tobias und mich zu drängen. Eine von ihnen drückt Tobias ihre Handtasche gegen den Bauch und im nächsten Moment sind sie auch schon wieder draußen aus dem Bus. Beute haben sie nicht machen können – aber Tobias’ T-Shirt und der Brustbeutel sind aufgeschlitzt. Nach dem

Zwischenfall haben wir wenig Lust, uns die Altstadt anzuschauen – Weltkulturerbe hin oder her.

 

Stattdessen fahren wir nach Mindo in den Bergnebelwald. Pittoreske Ferienhäuser und Restaurants soweit das Auge reicht. Ein bisschen künstlich, aber nett. Wir wandern durch den Regenwald, zu Wasserfällen und Schluchten – immer auf der Suche nach den 52 Kolibriarten, den Tukanen, Quetzals und sonstigen seltenen Vögeln, die es hier gibt.

 

Der Donnerstag-Markt in Saquisili ist über die ganze Stadt verteilt. Die Indigenas in ihren hübschen Trachten kommen von weit her, um hier ihre Vorräte aufzustocken. Auch wir versuchen unser Glück und wollen eine Paprika, eine Zwiebel und fünf Knoblauchzehen kaufen. Die junge Frau hinter den Körben schaut uns ungläubig an. Eine Zwiebel … eine Paprika … damit kann man doch nichts anfangen. Gemüse kauft man hier sackweise. Oder wenigstens im Kilo. Mehr als einmal fragt sie nach, ob wir wirklich nicht mehr wollen – und packt dann amüsiert das Gewünschte ein. Dann schöpft sie eine ganze Hand voll frisch geschälter Knoblauchzehen aus dem Korb und füllt sie in eine Tüte. „Listo!“ – Basta. Wir bummeln noch eine Weile über den Markt und lassen uns dann an einem der Essensstände nieder. Getreu dem Motto „Wir essen das, was die Einheimischen essen“, deuten wir auf die Teller neben uns und bestellen „lo mismo“, das gleiche. Doch „Cuy“, Meerschweinchen, ist leider aus. Stattdessen bringt man uns „Locro“, das Nationalgericht Ecuadors, eine Art Kartoffelsuppe mit Käse und Fleischbeilage oder – wie in unserem Fall – mit Kutteln und anderen Innereien. Garniert wird das Ganze mit geronnenem Blut, Zwiebeln, Tomate und Avocado. Dazu serviert man uns eine Tasse mit heißem, süßem Kakao. Am Stand neben uns werden gerade Hühnchen zerhackt. Alles, inklusive Kopf und Krallen, wandert erst in die Suppe und anschließend auf die Teller. Ein Stück weiter liegen gekochte Schweineköpfe auf dem Tisch. Das Essen in Ecuador ist manchmal gewöhnungsbedürftig.

 

Und wieder ruft der Berg. Im Gegensatz zum Nachbargipfel, dem 5263 Meter hohen Illiniza Sur, ist der 5126 Meter hohe Gipfel des Illiniza Norte einfach zu erklimmen. Kein Schnee, kein Eis, keine große technische Herausforderung. Nur Schutt und Fels. Und Wolken. Über eine ziemlich löcherige Pflasterstraße rumpeln wir bis hinauf zum Parkplatz „La Virgen“ auf 4.000 Meter Höhe und warten auf den Tourbus – denn auch hier haben uns Einheimische den Rat gegeben, das Auto nicht unbeaufsichtigt stehen zu lassen. Pünktlich um 7 Uhr am nächsten Morgen ist er da, der Tourbus mit den Touris. Tobias redet so lange auf den Busfahrer ein, bis dieser sich bereit erklärt, auf unser Auto aufzupassen. In Windeseile packen wir zusammen und machen uns auf den Weg. Schon nach wenigen Metern kämpfen wir uns durch dichten Nebel und Schneetreiben. Vom Berg ist nichts zu sehen. Schilder oder Wegmarkierungen gibt es keine. Und so laufen wir am Abzweig zur kurzen Route vorbei und quälen uns stattdessen übers Geröllfeld bis zum Refugio auf der längeren und mühsameren Route, die von hinten über den Paso de la Muerte auf den Gipfel führt. Beim Abstieg lichtet sich auf einmal der Nebel, die Wolkendecke reißt auf und für ungefähr zehn Minuten blicken wir auf einen von der Nachmittagssonne angestrahlten Berggipfel. Na, schönen Dank auch.

 

In Zumbahua, 60 Kilometer westlich von Latacunga, findet immer samstags ein farbenfroher Indio-Markt statt. Die Frauen hier tragen knielange, wollene Röcke, Kniestrümpfe und Pullover. Die Haarbänder, die um die langen geflochtenen Zöpfe geschlungen sind, passen farblich zum wärmenden Poncho. Sowohl die Männer als auch die Frauen tragen in der Regel einen Hut aus Filz. Die Verkäufer breiten ihre Waren auf der Erde aus oder präsentieren sie in großen Körben und Säcken. Wir sind die einzigen Touristen auf dem Markt.

 

Auf der Weiterfahrt zur Laguna Quilotoa windet sich die Straße durch hochandine, wüstenartige Täler. Am Straßenrand wachsen Kakteen. Die steilen Hänge sind bis unter die Spitze bewirtschaftet. Lamas grasen auf den Wiesen. Eine Bilderbuch-Landschaft. Wir setzen unsere Fahrt durchs Hinterland fort. Über eine staubige, sandige Rüttelpiste geht es – vorbei an den Orten Chugchilan, Sigchos und Toacazo – wieder zurück zur Panamericana. Die Welt der bunten Werbeplakate und der stinkenden und qualmenden Trucks hat uns wieder. Welch ein Unterschied!

 

Wir übernachten kurz vor Riobamba an einem stillgelegten und zum Refugio umgebauten Bahnhof – direkt an der alten Panamericana und mit Blick auf die Gipfel des Chimborazo sowie des Carihuayrazo. Nachts hören wir das Grollen des spuckenden Tungurahua, dem Vulkan bei Baños, der vor kurzem wieder ausgebrochen ist. Am nächsten Morgen fahren wir über die holprige und löchrige alte Kopfsteinpflaster-Panamericana nach Riobamba. Die Bauern, die unseren Weg kreuzen - barfuss mit verfilzten Haaren und breitem Zahnlücken-Lächeln – schauen uns mit ebenso großen Augen an, wie wir sie.

Es ist Sonntag und Riobamba ist wie ausgestorben. Die Läden, die Restaurants, die Internet-Cafés, ja sogar die Büros der Touranbieter haben geschlossen. Nur der Waschsalon ist offen. So kommen wir zwar zu sauberer Wäsche, einen Bergführer für den Chimborazo finden wir jedoch nicht. Die Suche gestaltet sich allerdings auch am nächsten Tag schwierig. Ergebnis nach sechs Stunden: Ein wortkarger Guide, der uns keine Auskunft über die derzeitigen Verhältnisse am Berg oder über Aufstiegsrouten geben kann – für 120 Dollar plus Ausrüstung, plus Transport, plus Essen, plus Übernachtung, plus Eintritt in den Nationalpark und so weiter. Das zweite Angebot stammt von der Agentur des berühmten ecuadorianischen Bergsteigers Marco Cruz und wirkt auf den ersten Blick gut organisiert und sehr seriös – für den stolzen Preis von 200 Dollar pro Person, zuzüglich allem oben genannten. Da man einen Berg dieser Größenordnung – der Chimborazo ist immerhin 6310 Meter hoch – nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, entscheiden wir uns für das zweite Angebot. Tobias hat zwei Tage Zeit für die Höhenakklimatisierung.

 

Gemeinsam mit Thekla und Flo wollen wir den Vicuña-Trail laufen, jenen alten Inka-Trail, der im Hochtal zwischen dem Chimborazo und dem Carihuayrazo verläuft und über den Abraspungu-Pass auf die andere Seite der Westkordillere führt. Dauer eigentlich 2-3 Tage. Da wir keine rechte Lust haben, zu dieser Jahreszeit auf 4.500 Meter Höhe unsere Zelte aufzuschlagen, fragen wir Rodrigo, den Manager des Bahnhofsrefugios um Rat. Er gibt uns den Tipp, mit dem Landy bis „Loma Caparina“ zu fahren. Von dort schafft man es in einer bequemen Tagestour zum Pass und zurück. Der landschaftlich beeindruckende Weg führt durch surreal wirkende Paramo-Wiesen mit dichten Graskissen, niedrigen, kakteenartigen Pflanzen und kniehohen, gelben Gräsern, die in der Sonne golden leuchten. Dazwischen grasen hin und wieder Lamas und Vicuñas. Zwei Gauchos, die an uns vorbeireiten, machen das Bild der klassischen ecuadorianischen Andenlandschaft perfekt. Auf der Rückfahrt beginnt es zu regnen. Immer wieder queren wir kleine Bäche, die am Vormittag noch nicht da waren. Einer dieser Bäche hat sich seinen Weg unter der Erde gegraben. Von oben ist das nicht zu sehen. Doch als der Landy mit seinen drei Tonnen Gewicht die Stelle passiert, bricht die Straße weg und das rechte Vorderrad fällt in ein knietiefes Loch. Es tut einen fürchterlichen Schlag. Sofort springen alle aus dem Auto, um nachzusehen, was geschehen ist. Wir haben Glück. Durch das Wegsacken und Aufsetzen auf der Straße hat es lediglich den Unterbodenschutz zerfetzt. Es ist also in nächster Zeit mal wieder ein Werkstatt-Besuch fällig.

 

Am nächsten Morgen machen wir auf den Weg zum Chimborazo Nationalpark – nicht um den Berg zu besteigen, sondern um uns ein bisschen umzusehen. Am Abzweig von der asphaltierten Straße auf die Schotterpiste, die zum Refugio führt, befindet sich ein Kontrollposten, an dem die Eintrittsgebühr für den Nationalpark in Höhe von 10 Dollar pro Person zu entrichten ist. Ohne rot zu werden erzählen wir dem Wärter, wir hätten Ausrüstungsgegenstände an Bord, die jemand aus der französischen Reisegruppe, die gerade oben im Refugio weilt, vergessen hätte. Der Wärter will uns nicht durchlassen. Wahrscheinlich glaubt er uns die Story vom wilden Lama nicht. Doch dann fällt sein Blick auf den Schriftzug „Pinguino-Tour“ auf unserer Autotür – und wie viele andere vor ihm auch schon, hält er uns für einen Tour-Anbieter. Wir bekommen eine Stunde. Wenn wir nicht nach einer Stunde zurück sind, müssen wir bei der Ausfahrt den halben Eintrittspreis bezahlen. Tobias gibt Gas. Wir fahren bis zum Refugio, laufen ein bisschen, schauen uns die Landschaft an, passieren just in time das Wärter-Häuschen, winken noch mal freundlich – und weg sind wir.

 

Als wir am nächsten Tag im „Chimborazo-Basecamp“ ankommen, teilt man uns mit, dass die Besteigung nicht wie geplant stattfinden kann, sondern sich um einen Tag verschoben hat. Aber selbstverständlich könnten wir die Nacht im Camp verbringen – gegen Bezahlung, versteht sich. Wir lehnen dankend ab und kommen einen Tag später wieder. Nun eröffnet man uns, dass es aus Sicherheitsgründen nicht ratsam sei, mit dem eigenen Auto bis zur Einstiegsstelle zu fahren, die sich – anders als besprochen – nicht am Refugio befindet, sondern weiter unten. Aber natürlich könnten wir einen Transport buchen – gegen Bezahlung, versteht sich. Wieder lehnen wir dankend ab – und räumen stattdessen das Auto leer. Die nächsten Überraschungen lassen nicht lange auf sich warten: Tobias’ Leihausrüstung, sowohl Steigeisen als auch Gurt, sind vorsintflutliche Modelle. In der Anlage gibt es keinen Strom und damit weder Licht noch Heizung. Und das auf 4000 Meter Höhe und bei Außentemperaturen nahe dem Gefrierpunkt. Tobias und die Guides brechen mitten in der Nacht auf. Sie wählen die Castillo-Route. Neun Stunden soll der Aufstieg dauern. Drei bis vier der Abstieg. Nach acht Stunden ist Tobias wieder zurück. Das Wetter oben am Berg war weitaus schlechter als es von unten den Anschein hatte. Durch den Neuschnee herrschte akute Lawinengefahr, so dass der Hauptgipfel nicht erreicht werden konnte.

 

Nach der Zeit in den Bergen steht uns der Sinn nach etwas Abwechslung. Wir fahren in den Oriente, jenes Gebiet östlich der Cordillera Central, das zum Amazonasbecken hin abfällt. In Baños machen wir nur kurz Halt, um auf dem Mercado essen zu gehen. Zu viele Hostels und zu viele Touranbieter. Die Straße entlang der Pastaza-Schlucht nach Puyo ist mittlerweile asphaltiert und zweispurig. War es früher einmal ein beliebter Nervenkitzel, mit dem Fahrrad auf der Schotterpiste die Schlucht hinunter zu düsen, so mietet man sich heute ein Quad, auch wenn dabei jede Romantik auf der Strecke bleibt. Tobias erkundigt sich, ob es – wie auf unserer Straßenkarte eingezeichnet – eine Straße von Macas durch den Sangay-Nationalpark nach Guamote gibt, denn laut Reiseführer gibt es lediglich eine Verbindung von Macas nach Cuenca, die jedoch als „üble Schlammpiste“ bezeichnet wird. Die Aussagen, die wir erhalten, sind widersprüchlich. Wie immer, in solchen Fällen, beschließen wir, uns eine eigene Meinung zu bilden und fahren erst einmal weiter nach Macas, 130 Kilometer von Puyo aus. Die ersten 30 Kilometer sind asphaltiert, doch dann wird’s holprig. Die Straße wurde mit großen, vom Wasser abgeschliffenen Steinen aus dem Flussbett aufgeschüttet und ist eine echte Herausforderung für Stoßdämpfer und Bandscheiben. Nach drei Stunden Fahrt haben wir gerade mal 60 der 130 Kilometer zurückgelegt. Wir haben die Hoffnung, Macas vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, schon fast aufgegeben, als die Straße plötzlich wieder asphaltiert ist – und dies auch bis Macas bleibt.

 

Macas wirkt modern und aufgeräumt. Kaum zu glauben, dass diese Stadt noch bis vor kurzem fast nur per Flugzeug erreichbar war. Als wir vom Abendessen zurückkommen, öffnet die Disco neben der Feuerwache, bei der wir uns einquartiert hatten, gerade ihre Pforten. Kurzerhand ziehen wir um, raus aus der Stadt aufs Polizeigelände. Hier erkundigen wir uns am nächsten Morgen auch gleich nach dem Zustand der Straßen. Am Ende gibt es so viele Meinungen wie Polizisten – was uns natürlich nicht wirklich weiterhilft. Nächste Anlaufstation ist der Busbahnhof, denn wenn jemand die Straßen kennt, dann die Busfahrer. Dort erfahren wir, dass die Strecke Macas – Cuenca bis Limón sehr gut sein soll. Das letzte Stück über die Berge sei schlecht, erzählt man uns, aber immer noch besser als die Strecke Macas – Riobamba. Letztere jedoch führt teilweise durch den Sangay-Nationalpark und sei landschaftlich vermutlich schöner. Keine Frage, wir wählen die Strecke durch den Nationalpark. Zuerst geht es auf einer teils steinigen, teils matschigen Piste durch tropischen Regenwald, dann durch Bergnebelwald. Bei Zunac passieren wir die Grenze zum Sangay-Nationalpark. Wir fahren durch mehrere kleinere Bäche, über löchrige Brücken, jonglieren unseren Landy über Geröll und durch Auswaschungen – und erreichen schließlich die Schlüsselstelle, einen etwa 500 Meter langen Tunnel. Die Erdpiste, die durch ihn hindurchführt, steht komplett unter Wasser. Wie tief das Wasser ist, können wir nicht erkennen, weil im Tunnel tiefschwarze Nacht herrscht. Vorsichtig tasten wir uns vorwärts, immer hoffend, dass uns jetzt keiner entgegen kommt. Nach dem Tunnel ändert sich die Umgebung und geht in eine hochandine Landschaft über. Kurz vor den Lagunas de Atillo, auf 3.400 Meter Höhe, ist die Straße wieder asphaltiert, doch schon hinter Cebadas fahren wir erneut über Schotter. Dann geht plötzlich ein Abzweig links rein. Wir halten ein entgegen kommendes Fahrzeug an und fragen, wohin die Straße führt. Nach Guamote, ist die Antwort. Wir staunen nicht schlecht. Es gibt sie also doch, die Straße, die in unserer Karte eingezeichnet ist und die niemand kannte. Wir biegen ab und kommen nicht weiter. Unserem linken Hinterreifen ist die Luft ausgegangen. Zum ersten Mal nach 11 Monaten und 52.000 gefahrenen Kilometern haben wir einen Platten. Nach erfolgreicher Reparatur geht es weiter nach Ingapirca.

 

Deshalb hier ein ein kurzer Ausflug in die Historie: Gegen Ende des 15. Jahrhunderts dringt das Volk der Inka von Peru aus nach Norden vor. Der Inka-Herrscher Pachocutec Yupanqui schickt seinen Sohn Tupac Yupanqui nach Tomebamba, dem heutigen Cuenca, um das Gebiet einzunehmen. Es gelingt Tupac Yupanqui, die dort lebenden Cañari zu besiegen und das Gebiet zu besetzen. Als Tupac stirbt und sein Sohn, Huayna Cápac, den Thron besteigt, lässt dieser die Festung von Ingapirca bauen. Ingapirca ist die bedeutendste Inka-Ruine Ecuadors, doch im Vergleich zu anderen Anlagen eher klein. Die Plattform, die den Sonnentempel trägt, ist einzigartig wegen ihres elliptischen Grundrisses. Die gesamte Anlage ist außerdem in Form eines Pumas erbaut, doch da nur noch die untersten Steinreihen der Grundmauern stehen, braucht es schon eine gehörige Portion Fantasie, um das zu erkennen.

 

Über Gualaca, Chordeleg und Sigsig fahren wir weiter Richtung Cuenca – und sehen plötzlich eine ganz andere Seite von Ecuador. Teure Autos, westlich gekleidete Menschen, jede Menge Boutiquen und Elektrogeschäfte. Der Mercado ist gefliest und wirkt nüchtern und steril. Die Straßen Cuencas dagegen sind voller Leben – und voller Unterschiede. Indigenas in Trachten stehen an der Fußgängerampel neben Geschäftsleuten mit Anzug, Krawatte und Panamahut. Überhaupt der Panamahut … er kommt nicht, wie der Name vermuten ließe, aus Panama, sondern aus Ecuador. Deshalb lassen wir es uns nicht nehmen, dem „Museo del Sombrero“, dem Panamahut-Musuem in Cuenca, einen Besuch abzustatten. Die Palmfasern, aus denen die Hüte hergestellt werden, werden gekocht, gebleicht und zerteilt und anschließend per Hand geflochten. Das Flechtwerk bildet die Grundform. Die Endform erhält der Hut, indem er heiß in Form gepresst wird. Näherinnen sorgen für den letzten Schliff – mit Hutband etc. Im Verkaufsraum lassen wir uns die

unterschiedlichen Qualitäten zeigen. Ein „normaler“ Hut ist nach ca. 1-3 Tagen fertig und kostet etwa 15 Dollar. An einem ganz fein geflochtenen dagegen arbeitet man bis zu drei Monaten. Er kostet 300 Dollar. Tobias probiert ein paar

Hüte auf, kann sich aber nicht dazu durchringen, seine Baseball-Cap gegen eine stilvollere Kopfbedeckung einzutauschen.

 

Ohne Hut fahren wir weiter über Loja nach Vilcabamba. Ursprünglich hatten wir vor, bei Macara über die Grenze nach Peru zu fahren. Doch daraus wird nichts. Denn nach der Lektüre unseres Peru-Reiseführers sind wir fest entschlossen, die Ruine von Kuelap zu besichtigen. Und der kürzeste Weg dorthin führt über den Grenzübergang La Balsa südlich von Zumba. Dummerweise beschreibt sämtliche Reiseliteratur, die wir bemühen, diesen Grenzübergang als einen reinen Fußgängerübergang, bei dem man mit Booten den Grenzfluss überqueren muss. Die Einheimischen, die wir fragen, können uns auch nicht sehr viel mehr sagen. Wir riskieren es. Sechs Stunden fahren wir über eine abenteuerliche Schlammpiste einen Hügel nach dem anderen rauf und wieder runter, wir kämpfen uns durch Flüsse und Wasserlöcher und trotzen den tiefen Spurrillen, die die LKWs und Baufahrzeuge in den Boden gegraben haben – ohne zu wissen, ob diese Strecke am Ende nicht doch eine Sackgasse für uns ist. Doch unsere Sorge ist unbegründet. Als wir am Grenzfluss ankommen, sehen wir schon von weitem die Brücke – breit genug für Autos. Spaßeshalber fragen wir nach dem Zustand der weiteren Strecke. „Malissimo“ – furchtbar schlecht – winkt der ecuadorianische Zöllner ab. Sein Kollege auf peruanischer Seite antwortet auf die gleiche Frage, die weitere Strecke sei viel – also viel, viel – besser als in Ecuador. Nun, wir werden sehen …


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