Reisebericht 41 vom 02.04.08 – 15.04.08: Uruguay, die Schweiz Lateinamerikas 


Route: Montevideo – Colonia del Sacramento – Carmelo – Mercedes – Trinidad – Grutas del Palacio – Young – Guichon – Paysandu – Salto – Mesa Artigas – Valle del Eden – Tacuarembo – Melo – Quebrada de los Cuervos – Treinta y Tres – Velazquez – Laguna Negra – Santa Teresa – Punta del Diablo – La Paloma – Rocha – Maldonado – Punta del Este – Minas – Santa Lucia - Montevideo


Die Fähre, mit der wir von Buenos Aires (Argentinien) über den Rio de la Plata nach Colonia del Sacramento (Uruguay) übersetzen, sieht nur noch von außen aus wie ein Schiff. Innen ähnelt sie einer Hotelhalle wie man sie aus Las Vegas kennt. Der Plüschteppich ist farblich perfekt auf die Sessel abgestimmt, in der Ecke stehen Spielautomaten, gegenüber befinden sich Fast-Food-Restaurants, es gibt eine Rezeption, einen gläsernen Aufzug aufs Oberdeck und Blumenkästen aus Marmor – eben alles was man auf einer Autofähre so braucht….

 

Uruguay war einmal ein reiches Land. Aufgrund seines Bankwesens und seines ausgeprägten Bankgeheimnisses wird es auch als „Schweiz Lateinamerikas“ bezeichnet. Zwar ist der Lebensstandard heute noch immer höher und die Infrastruktur besser als in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern, doch seine Glanzzeiten hat Uruguay hinter sich. Die Tangokrise, jener berühmt-berüchtigte Devisen-Crash in Argentinien, hat auch Uruguay in Mitleidenschaft gezogen. Und so wundert es nicht, dass von den prunkvollen Fassaden der Kolonialbauten in Montevideo der Putz abblättert und so manche längst überfällige Restaurierung nicht in Angriff genommen wird, weil kein Geld mehr dafür da ist. Auch die Zahl der Obdachlosen, die entlang der Hauptgeschäftsstraße auf dem Boden liegen oder die Parkbänke auf den Plazas bevölkern, spricht für sich.

 

Was uns angeht, so wähnen wir uns nach dem ersten Abendessen in Montevideo bereits auf dem kulinarischen Tiefpunkt unserer Reise angekommen. Wie auch schon in Argentinien, so ist auch in Uruguay das Nationalgericht Nummer eins Pizza, was vor allem damit zusammen hängt, dass viele Italiener seinerzeit nach Uruguay ausgewandert sind. Aber mit einer schmackhaften italienischen Pizza hat das, was auf unserem Tisch landet, wenig zu tun, sondern könnte auch als in Tapetenkleister getauchte Pappmaché-Scheibe durchgehen. Zum Glück entdecken wir kurz darauf die Nationalspeise Nummer zwei: Chivito, hauchdünnes Steak mit gebratenen Zwiebeln und Ei, wahlweise als Sandwich oder als Tellergericht mit Salat und Pommes. Wir sind gerettet. Wir drehen ein paar Runden durch die Altstadt, schlendern an der Küstenstraße entlang, besuchen den Mercado Central sowie den Mercado del Puerto und gehen ins Gaucho-Museum, um dort von den Sporen über die silberne Gürtelschnalle bis hin zum breitkrempigen Hut das aufwändige Outfit der Gauchos zu bewundern. Zwei Amerikanerinnen, die mit uns zusammen durch die Austellungsräume wandern, bestaunen eine Ansammlung von Steigbügeln. Einige davon, allem Anschein nach für Frauen gefertigt, haben die Form von Pantoffeln. „Was ist das denn?“, will die eine Amerikanerin wissen. „Schuhe“, antwortet ihre Begleiterin, worauf die Erste entgegnet: „Ach ja klar, Schuhe. Für die Pferde, nicht wahr?“. Das wiederum ist der Augenblick, in dem Tobias und ich beschließen, dass es an der Zeit ist, dem Wahnsinn der Backpacker-Szene zu entfliehen. Wir mieten uns ein Auto und sind endlich wieder mobil unterwegs. (Für all diejenigen, die den letzten Reisebericht nicht gelesen haben: Wir haben unseren Landy im März in Argentinien verkauft.)

 

Colonia del Sacramento wurde 1680 aus strategischen Gründen am Rio de la Plata, Buenos Aires gegenüber, errichtet. Die Festungsanlage San Miguel sollte den Zugang zum Rio de la Plata kontrollieren. Sehenswert ist hauptsächlich die Altstadt mit den schiefen kopfsteingepflasterten Gässchen und den alten, bunt angemalten Häuschen. Außerhalb der Stadt liegen einsame Strände, mit Picknickplätzen unter Schatten spendenden Bäumen.

 

Mercedes ist wie ausgestorben, als wir ankommen. Außer ein paar Anglern am Fluss ist niemand zu sehen. Das ändert sich schlagartig mit Einbruch der Dunkelheit. Zu Hunderten stürmen die Menschen plötzlich die Uferpromenade, mit Campingstühlen und Thermoskannen mit heißem Wasser für den Mate-Tee sitzen sie entlang der Straße im Grünstreifen und beobachten die Jugendlichen, die mit ihrem Mopeds in Schrittgeschwindigkeit auf und ab fahren. Sehen und gesehen werden – die Sonntagabendbeschäftigung in einer typischen uruguayischen Kleinstadt.

 

Uruguay, das neunzehnte Land auf unserer Reise, ist nach Surinam das zweitkleinste Land Südamerikas. Auf einer Fläche, etwa halb so groß wie

Deutschland, leben ca. 26 Millionen Schafe, 9 Millionen Rinder und 3,4 Millionen Menschen. Gut die Hälfte der Uruguayer lebt in der Hauptstadt Montevideo – und entsprechend leer ist der Rest des Landes. Stundenlang fahren wir vorbei an Acker- und Weideland. Wir machen Abstecher zu vermeintlichen Sehenswürdigkeiten – wie zum Beispiel den kärglichen Überresten einer Jesuiten-Estanzia, erodierten und ausgehöhlten Granitfelsen und einer Anhöhe, auf der General Artigas, der Nationalheld Uruguays, einst im  Unabhängigkeitskrieg sein Lager aufgeschlagen hatte und von der aus man einen hübschen Blick über den Rio Uruguay hat. In Ermangelung weiterer Sehenswürdigkeiten im Westteil des Landes machen wir Thermalbad-Hopping und verbringen Stunden – meistens die Abendstunden – damit, im heißen Wasser zu entspannen, bevor wir uns auf den Weg Richtung Atlantikküste machen. Je weiter wir nach Osten kommen, desto hügeliger und desto abwechslungsreicher wird die Landschaft. Über Tacuarembó, dem Valle del Eden und über Treinta y Tres, einer Kleinstadt, benannt nach den 33 Orientalen, die unter der Führung von Juan Antonio Lavalleja den Rio Uruguay überquerten und gemeinsam mit dem Heer von Fructuoso Rivera am 25. August 1825 Uruguay für unabhängig erklärten, fahren wir weiter zur Quebrada de los Cuervos. Die Rabenschlucht ist seit Ende 2007 ein Nationalpark, verfügt über perfekte Infrastruktur (Cabanas, Camping) und der Eintritt ist frei. Wir begnügen uns nicht damit, von der Aussichtsplattform die Raben zu beobachten, die laut kreischend über der Schlucht ihre Runden drehen, sondern steigen hinunter bis zum Fluss – und anschließend natürlich auch wieder hinauf. Unten in der Schlucht herrscht ein subtropisches Mikroklima. Die Vegetation wird dichter, die Luftfeuchtigkeit höher und der Schweiß rinnt schneller. Etwas später, wir sind wieder unterwegs Richtung Küste, fahren wir durch Palmenwälder.

 

Das Bild, das sich uns bietet, kennt man von Postkarten: Kühe grasen friedlich unter Butia-Palmen, während die untergehende Sonne den Horizont in ein Farbenmeer verwandelt. Ja, so haben wir uns Uruguay vorgestellt. Das Fort Santa Teresa liegt nicht direkt am Meer, obwohl es zum Schutz vor portugiesischen Seefahrern errichtet worden war. Man muss nicht alles verstehen … Jedenfalls liegt es mitten im Nationalpark Santa Teresa, Parkanlage und Feriendorf, mit kilometerlangen Stränden, die zu dieser Jahreszeit menschenleer sind. Die Saison ist vorüber. Zum Baden ist es an der Atlantikküste fast schon zu kalt. Die Blätter an den Bäumen färben sich bereits gelb und nachts wird es in unserem Zelt schon empfindlich frisch.

 

Entlang der Atlantikküste reihen sich ein paar Lagunen aneinander, mal mehr, mal weniger sehenswert. Unser Weg führt die Küste entlang nach Süden, vorbei am Surfer-Paradies Punta del Diablo, geradewegs hinein nach Punta del Este. Hier, wo der Rio de la Plata in den Atlantik mündet, wo sich Hochhaus an Hochhaus reiht, wo Millionenwerte im Yachthafen vor Anker liegen… hier machen die Reichen und Schönen aus aller Welt Urlaub. An sich Grund genug, um einen möglichst großen Bogen um diesen Ort zu machen, wenn nicht Onkel Gerd gleich um die Ecke wohnen würde. Und Onkel Gerd müssen wir unbedingt besuchen, denn Onkel Gerd wartet schließlich schon seit fast zwei Jahren darauf, dass wir endlich bei ihm aufkreuzen, Er verwöhnt uns mit selbst gebackenem Vollkornbrot und leckerer Gemüsepfanne – und so lassen wir uns mit dem Weiterreisen gern ein bisschen Zeit. (Vielen Dank, Gerd, für den freundlichen Empfang!)

 

Nach zwei Wochen Rundreise sind wir schließlich wieder in Montevideo. 3000 Kilometer haben wir in Uruguay zurückgelegt und dabei vor allem Weideflächen, Ackerbau und Strände gesehen. Nicht nur auf der topografischen Karte, auch auf der Liste der Sehenswürdigkeiten mangelt es Uruguay an echten Höhepunkten. Doch wie schon so oft auf unserer Reise sind es auch hier die Menschen, die das Land so liebenswert machen: Der Geschäftsmann im Restaurant zum Beispiel, der, als er sieht, dass wir unendlich lange die Speisekarte studieren, von seinem Tisch aufsteht, sich zu uns setzt und fragt, ob er uns helfen kann – Der junge Mann, der Arbeitskollegen aus München hat, und sich einfach ein bisschen mit uns unterhalten will - Die Frau am Campingplatz, die sich mit Umarmungen und Küsschen von uns verabschiedet, als würde sie uns schon seit Jahren kennen – Der Tankwart, der, als er hört, dass wir aus Deutschland kommen, uns auf deutsch mit den Worten „Vielen Dank und gute Reise“ verabschiedet.


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