Reisebericht 30 vom 24.07.07 – 16.08.07: Auf dem Altiplano oder der lange Weg zu den Lagunen


Route: (Bolivien) Infante Rivarola – Villamontes –Tarija – Villazón – (Argentinien) Quebrada Humahuaca – Tilcara – Jujuy – Purmamarca – Paso de Jama – (Chile) San Pedro de Atacama – Hito Cajón – (Bolivien) Laguna Blanca – Laguna Verde – Salar Chalviri – Laguna Colorada– Villa Alota – Laguna Hedionda – Laguna Chiar Khota – Laguna Ramaditas – Avaroa– (Chile) Ollagüe – Laguna Inca Coya – Calama – Baños de Turi – Toconce –El Tatio – San Pedro de Atacama – Laguna Lejia – Paso de Sico – (Argentinien) San Antonio de los Cobres – Salta


Bolivien:

 

Der Grund für unseren zweiten Besuch in Bolivien sind die Lagunen, die sich im Südwesten des Landes an der Grenze zu Chile befinden. Wir fahren durch den bolivianischen Chaco im Südosten Boliviens und sind uns noch immer nicht ganz schlüssig, welchen Weg wir nehmen werden. Es gibt die Möglichkeit, von Tarija über Tupiza und anschließend quer übers bolivianische Altiplano zu fahren – allerdings auf denkbar schlechten Straßen, vor denen wir bereits mehrmals gewarnt worden sind. Eine andere Option wäre, bei Villazón die Grenze nach Argentinien zu überqueren, durch die Quebrada Humahuaca über den Paso de Jama nach Chile und von dort – sozusagen von hinten durch die Brust – zu den Lagunen zu fahren. Schon allein deshalb, weil wir die Quebrada Humahuaca schon kennen – wir sind die Quebrada und den Paso de Jama vor vier Jahren schon einmal gefahren – tendieren wir zu der Variante quer durch Bolivien. Trotz der schlechten Straßen. Oder vielleicht auch gerade deswegen? Wir beschließen, mit der endgültigen Entscheidung zu warten, bis wir in Tarija sind.

 

Die Strecke von Villamontes nach Tarija führt durch den Pilcamayo-Canyon. Zwischen rosafarbenen Felswänden schlängelt sich tief unten ein türkisblauer Fluss – alles äußerst malerisch und idyllisch. Die Straße windet sich – wie für bolivianische Verhältnisse typisch – in engen und steilen Kurven von einem Felsabsatz zum nächsten. Zum Glück herrscht nicht viel Verkehr. Auf der ganzen Strecke kommen uns lediglich zehn Überlandbusse in Reihe entgegen. In unsere Richtung fährt quasi niemand. Noch denken wir uns nichts dabei …

 

Als wir uns Tarija nähern, wundern wir uns über allerlei Gerümpel, das auf der Straße herum liegt. In Tarija selbst ist nichts los. Keine Autos weit und breit, nur ein paar Fußgänger. Vielleicht liegt das daran, dass es bereits dunkel ist, wer weiß, wann hier die Gehsteige hochgeklappt werden. Am nächsten Morgen sind wir früh auf den Beinen, wir haben viel vor: Einkaufen, zur Bank, Wäsche waschen, ins Internet-Café usw. Um 9 Uhr haben noch alle Geschäfte geschlossen. Um 9 Uhr 30 spielt Musik auf der Plaza, die ersten Autos stehen quer in den Straßen und blockieren die Zufahrt. Jetzt läuten bei uns die Alarmglocken. Das erinnert uns doch sehr an die Straßenblockaden seinerzeit in Oaxaca, Mexiko. Wir fragen nach und erfahren, dass Unstimmigkeiten wegen der geplanten Gas-Pipeline der Grund für einen Generalstreik sind, der nun schon seit einer Woche andauert und natürlich mit Straßensperren einhergeht. Gestern wurden sämtliche Touristen mit Sonderbussen und Militärflugzeugen evakuiert. Zeit, die Stadt zu verlassen. Doch so einfach ist das gar nicht, denn inzwischen sind die Straßensperren wieder aufgebaut worden. Die Steine im Kreisverkehr Nummer eins stellen für unseren Landy kein Hindernis dar. Ebenso wenig das Gestrüpp im Kreisverkehr Nummer zwei. Im Kreisverkehr Nummer drei steht ein LKW quer. Wir weichen auf den Gehsteig aus. An der Brücke schließlich geht’s wirklich nicht mehr weiter. Die Polizisten – statt die Ordnung wieder herzustellen – sitzen am Straßenrand im Gras und kauen Coca-Blätter. Immerhin erklären sie uns einen Schleichweg aus der Stadt. Wir biegen ab und landen prompt im Slumviertel. Doch auch hier sind die Wege blockiert. Ein Baumstamm versperrt den Weg. Wir wollen schon wenden, da kommt ein Auto von hinten angebraust. Der Fahrer, seine Frau und vier Kinder springen aus dem Wagen und heben gemeinsam den Stamm auf die Seite – wir können passieren. Anschließend wird der Baum wieder fein säuberlich über die Straße gelegt. So funktioniert das also.

 

Von hinten, über üble Schleichwege, querfeldein über Äcker und Gehöfte, erreichen wir San Lorenzo. Dieser kleine Ort nördlich von Tarija hat einen Zugang zur Ausfallstraße nach Potosí. Der Beamte im Mauthäuschen kassiert ordnungsgemäß die Maut, dann weist er uns darauf hin, dass die Straße auf der Passhöhe vermutlich ebenfalls gesperrt sei. Er soll Recht behalten. Fast 40 Kilometer windet sich die Straße den Berg hoch, um schließlich 7 Kilometer vor der Einmündung zur Straße nach Potosí in einer Blockade zu enden. Auf 3800 Metern Höhe stehen hier in beiden Fahrtrichtungen gut 20 LkWs. Dazwischen ein steinerner Acker. Die Campesinos sitzen oben auf den Hängen und rollen Felsbrocken hinunter auf die Straße – bevorzugt immer dann, wenn jemand versucht, die Blockade zu durchbrechen.

 

Der Aufstand der Campesinos hat nichts mit dem Generalstreik der Einwohner Tarijas zu tun. Die Campesinos blockieren die Straßen und behindern damit die Versorgung der Departements-Hauptstadt, um ihrer Forderung nach Zahlung eines Solidaritätsbeitrages Nachdruck zu verleihen. 2000 Bolivianos pro Familie aus dem Hilfsfond wollen sie haben – deshalb haben sie der Regierung ein Ultimatum gestellt und zu einer 48-stündigen Straßenblockade

aufgerufen. »Wann lasst ihr uns durch?«, rufen die Truck-Fahrer den Campesinos zu. »Mañana – Morgen«, rufen die Campesinos zurück. Mitten in der Nacht – oben an den Berghängen – leuchten die Lagerfeuer der Campesinos – ertönt plötzlich Sirenengeheul. Von der anderen Seite nähert sich ein Krankenwagen. Er hat einen Patienten an Bord, der dringend ins Krankenhaus nach Tarija gebracht werden muss. Die Campesinos lassen ihn passieren – das heißt, sie rollen keine Steine auf ihn herab. Mühsam quält sich die Ambulanz über die Felsbrocken – und steht am Ende der Straßensperre vor einem anderen Problem. Die LKWs – und wir – hatten alle in Reihe geparkt und eine Fahrspur frei gelassen. Doch nachts sind Reisebusse angekommen und haben in zweiter Reihe geparkt, so dass es nun kein Durchkommen mehr gibt. Einer dieser Reisebusse steht genau neben uns. Der Fahrer ignoriert jedes Hupen, Rufen und Klopfen. Also müssen wir rangieren. Mitten in der Nacht, einen halben Meter vom Abhang entfernt.

 

Als die Sonne aufgeht, sehen wir, dass auf beiden Seiten Reisebusse stehen. Mit Passagieren. Die Zahl der Wartenden ist damit nun um einiges höher als die Anzahl der Campesinos. Die Verhandlungen beginnen. Einige Truck-Fahrer steigen die Hänge hoch und drohen, die Campesinos kräftig aufzumischen, wenn diese nicht wenigstens die Busse und Collectivos mit Frauen und Kindern an Bord passieren lassen. Unten räumen die ersten Bus-Passagiere bereits die Steine aus dem Weg. Das wiederum empfinden die Campesinos als Provokation. Der Ton wird schärfer, eine Weile wird diskutiert und debattiert – doch die Bolivianer sind an sich ein friedliches Volk und so räumen die Campesinos schließlich das Feld. Es geht weiter.

 

Richtung Villazón an die argentinische Grenze oder Richtung Potosí nach Norden – das ist die Frage. Die Straße nach Potosí ist frei, denn nur die ersten Kilometer der über 300 km langen Strecke liegen im Departemento Tarija. Auf der Strecke nach Villazón gibt es zwei weitere Blockaden. Wir entscheiden uns für die Weiterfahrt nach Villazón, denn Potosí liegt erstens mitten im Land und zählt zweitens auch nicht gerade zu den friedlichsten Gegenden – und angesichts der Umstände erscheint es uns ratsamer, Richtung Grenze zu fahren, um im Zweifelsfall so schnell wie möglich ausreisen zu können.

 

An der nächsten Straßensperre in Yunchara treffen wir alte Bekannte wieder: Das Taxi, das in der Nacht vor uns stand, den LKW, der hinter uns stand … Auch hier liegen wieder Steine auf der Fahrbahn, dazwischen haben sich die Campesinos häuslich eingerichtet. Feuer brennen, Frauen schöpfen Suppe aus großen, gusseisernen Töpfen – für die Verpflegung der Aufständischen ist also gesorgt. Doch auch hier geben die Campesinos klein bei, als ein LKW und Bus nach dem anderen eintrudelt und die Anzahl der Wartenden zu hoch wird. Fast fände ich Gefallen an dem Spiel – wenn da nicht diese rasenden Kopfschmerzen wären, die mich seit der Nacht plagen. An der nächsten und letzten Straßensperre in Tojo kann ich fast nicht mehr geradeaus schauen. Während Tobias mit den LKW-Fahrern die Lage checkt, packe ich meinen Campingstuhl aus, setze mich in den Schatten des Landys und versuche, meinen Kopf nach Möglichkeit nicht zu bewegen, weil ich Angst habe, er könnte explodieren. Doch was dann in die Luft geht, sind Feuerwerkskörper. Über Radio kam die Ansage, dass die Blockade nun beendet sei. Die Campesinos feiern ihren Sieg – obwohl sie die geforderte Zahlung nicht erhalten. Wir haben endlich wieder freie Fahrt. Doch die Freude darüber hält sich – zumindest bei mir – in Grenzen. Als sich der Landy mal wieder eine Serpentine hoch schraubt, ziehe ich die Notbremse. Mir ist übel und der Tee, soeben erst getrunken, sucht sich seinen Weg nach draußen. Höhenkrank, diagnostiziert Tobias besorgt. Eigentlich kein Wunder. Die letzten Wochen hatten wir uns mehr oder weniger auf Meereshöhe aufgehalten, bevor wir uns dann – mit nur einem kurzen Stopp in Tarija auf 1.800 Metern – auf knapp 4.000 Meter Höhe katapultiert haben. Die ungeplante Übernachtung auf der Höhe, dazu noch wenig getrunken, noch weniger geschlafen … Dagegen gibt es nur ein Mittel: runter in niedrigere Höhenlagen, und zwar so schnell wie möglich. Doch für die nächsten paar hundert Kilometer verläuft die Straße in etwa auf dem gleichen Niveau. Hilft nichts, da muss ich durch … Zehn Minuten später der nächste Stopp. Diesmal halten wir an, um vier jungen Männern, deren Wagen liegen geblieben ist, mit einem Schraubenschlüssel auszuhelfen. Ehe wir uns versehen, drückt man uns einen Becher mit einem Gemisch aus Fernet Branca und Cola in die Hand … schließlich will man ja nicht ohne seine »Retter« weiter feiern. Der überraschende Umtrunk – obwohl mit Magenbitter – fördert mein Wohlbefinden nicht wirklich. Eher im Gegenteil. Als wir Villazón erreichen, habe ich nur noch einen Wunsch: Schlafen. Aber kaum liege ich flach, rebelliert mein Magen wieder, weil man Gleichgewichtssinn völlig aus dem Lot ist. Nach 15 Stunden Hin- und Herwälzen fühle ich mich schließlich fit genug für den Grenzübertritt.

 

Argentinien:

 

Die Ausreise aus Bolivien war eine Sache von nicht einmal fünf Minuten. Jetzt aber stehen wir vor dem Schalter der argentinischen Migration in einer Schlange, die bis weit nach Bolivien zurück reicht. Nach einer Stunde sind wir zwei Meter weiter. Ich rechne aus, dass wir es wohl nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit nach Argentinien schaffen werden. Es ist 11 Uhr am Vormittag. Doch dann geht alles ganz schnell. Tobias hat den Landy mitten auf der Brücke, direkt neben der Schlange geparkt, so dass wir ihn im Blick haben. Doch da behindert er die Reisebusse, die eine gesonderte, schnellere Abfertigung erhalten. Wir sollen wegfahren, erklärt uns ein argentinischer Beamte. Machen wir doch gern – aber erst, wenn wir alle unsere Stempel haben. Und so werden wir also zähneknirschend, aber höflich nach vorne gebeten. Bienvenido a Argentina. Na also, geht doch.

 

Die Fahrt durch die Quebrada Humahuaca weckt Erinnerungen. Wir sind die Quebrada schon einmal, vor vier Jahren, entlang gefahren. Humahuaca mit dem riesigen Monument über der Stadt, Tilcara mit den Ruinen, dem botanischen Garten, dem archäologischen Museum, der trubeligen Plaza … alles sieht noch genauso aus wie damals. Nur Purmamarca hat sich verändert. Aus dem verschlafenen Ort von einst ist eine touristische Hochburg mit perfekter Infrastruktur geworden. Als wir vor vier Jahren hier spät am Abend ankamen, hatten wir Mühe, eine Portion Spagetti zu bekommen. Heute reiht sich Restaurant an Restaurant – und vor lauter bunten Tüchern, Wandteppichen, Pullovern, Schals und anderen Artesanias sieht man die Plaza gar nicht mehr. Unverändert dagegen der »Cerro de siete colores«, der Berg der sieben Farben, der noch immer farbenprächtig hinter Purmamarca in den Himmel ragt, und die idyllische Schönheit der Quebrada. Die schlanken, hohen Bäume, die knubbeligen Kakteen, zwischen denen Schafe und Ziegen weiden, die Esel, die am Rande der Fahrbahn stehen, die bunten Adobe-Häuschen – eine perfekte Mischung aus Toskana und Altiplano-Landschaft.

 

Neu auch der Straßenbelag am »Paso de Jama«, der Argentinien mit Chile verbindet. Während wir uns damals noch über Schotter gequält haben, gleiten wir jetzt auf glattem Teer dahin – und wie immer haben wir das Gefühl, dass die Teerstraße und das mit ihr einhergehende Reisetempo ein bisschen von dem Eindruck nimmt, den die Natur darum herum hinterlässt. So oft wie möglich halten wir an und nehmen uns Zeit sie zu betrachten. Wir queren die

Salinas Grandes, große Salzpfannen, die ähnlich aussehen wie der Salar de Uyuni in Bolivien, bevor wir schließlich den argentinischen Grenzposten am Paso de Jama erreichen. Einen chilenischen Zoll sucht man hier vergebens. Der sitzt unten in San Pedro de Atacama. Wir hatten nicht vor, so weit zu fahren, da sich der Abzweig nach Bolivien 40 Kilometer vor bzw. 1800 Höhenmeter über San Pedro de Atacama befindet. Doch wir kommen um einen Kurzbesuch in Chile nicht herum, denn um nach Bolivien einreisen zu können, brauchen wir einen chilenischen Ausreisestempel. Der argentinische reicht nicht aus. Bürokratie im Dreiländereck.

 

Chile:

 

Der Altiplano auf der chilenischen Seite gefällt uns deutlich besser. Es ist farbenfroher und abwechslungsreicher als auf der argentinischen Seite. Die Vulkangipfel links und rechts des Weges sind mit einer feinen weißen Schicht überzogen. Auch entlang der Straße liegt noch Schnee. Die Ufer der Lagunen sind vereist, die Bäche zugefroren. Auf den Hügeln glänzt das Andengras goldgelb in der Sonne. Wir fahren vorbei an den Moais de Tara, von Wind und Wetter geformten Felsnadeln, wir kommen an Salzseen und Lagunen vorbei, wir sehen jede Menge Guanakos und Vicuñas – aber keinen einzigen Flamingo. Wo stecken die bloß? Weil wir das Auto voller Essen haben und man natürlich mal wieder offiziell keine frischen Lebensmittel nach Chile einführen darf, deponieren wir einen Teil unserer Nahrungsmittel am Altiplano, bevor wir nach San Pedro de Atacama fahren. Doch unsere Sorge ist unbegründet. Da wir ein- und gleich wieder ausreisen, interessiert sich niemand für den Inhalt unseres Autos. Eigentlich ist nicht einmal eine Immigration fürs Fahrzeug notwendig. Wir lassen dem Zollbeamten lediglich den Fahrzeugschein als Pfand da, während wir uns auf den Weg zur Tankstelle machen. Doch als wir zurückkommen, hat er die Papiere schon ausgefüllt – damit alles seine Richtigkeit hat. Warum wir denn nicht wenigstens ein paar Tage in San Pedro bleiben wollen, fragt uns der Zollbeamte bekümmert, San Pedro sei doch auch schön. Nun, wir können ihn beruhigen. Wir kommen ja wieder. Aber erst wollen wir zu den Lagunen.

 

Bolivien:

 

Schon ein paar Kilometer hinter dem Grenzübergang Hito Cajón (nur Personeneinreise!) kommt die erste Lagune in Sicht, die Laguna Blanca, die weiße Lagune. Die Laguna Verde, die grüne Lagune, erreichen wir genau zur richtigen Zeit. Mittags nämlich, wenn die Sonnenstrahlen senkrecht auf das Wasser fallen, vollzieht sich ein faszinierendes Farbspiel. Das Wasser der

Lagune ändert seine Farbe von Tiefblau zu Smaragdgrün. Verantwortlich dafür sind das pflanzliche Plankton sowie die Metalle im Wasser, die – abhängig vom Einstrahlungswinkel der Sonne – verschiedenfarbig schimmern. Sozusagen als kostenlose Dreingabe zu diesem Schauspiel erhebt sich direkt hinter der Lagune der perfekt geformte Vulkankegel des Licancabúr. Wir folgen den Spuren der Tourbusse und gelangen zu den »Piedras de Dalí«, einem Sandfeld, in dem weit verstreut surreal geformte und gespaltene Steine liegen. Als nächstes kommt der Salar Chalviri in Sicht. Hier gibt es heiße Quellen und ein Badebecken. Wir freuen uns schon auf ein wohltemperiertes Bad, doch das Bad ist bereits wegen Überfüllung geschlossen. An den Ufern der Laguna Salada finden wir ebenfalls heiße Quellen – ganz ohne Tourbusse und ohne Touristen. Hier lassen wir uns nieder.

 

In der Nacht wird es bitterkalt. Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen hinter der Bergkuppe hervor spitzen und wir unsere steif gefrorenen Körper aus den Schlafsäcken schälen, zeigt das Thermometer noch immer -18°C. Innen im Landy hat es -11°C. Nach dem Aufstehen

dann das böse Erwachen: In der Nacht hat es unsere Wasserversorgung zerrissen. Das Wasser im Brauseschlauch war gefroren und hat den Schlauch abgesprengt. Auch das Wasser in den Kanistern und Flaschen, sogar das Wasser im Wassertank ist gefroren. Und bei diesen Temperaturen ist auch der Diesel versulzt. Keine Chance, den Landy zu starten. Gegen 11 Uhr hat die Temperatur im Innenraum die Null-Grad-Grenze überschritten. Außen hat es immerhin schon 8°C. Tobias wagt einen ersten Versuch, den Motor anzulassen. Die Dieselpumpe pfeift in den höchsten Tönen. Eine halbe Stunde später der zweite Versuch. Diesmal mit Erfolg. Der Motor läuft und der Landy kämpft. Trotz Vollgas und Untersetzung schafft er gerade mal 20 kmh. Also gönnen wir ihm noch eine kleine Aufwärmpause in der Sonne – schließlich müssen wir heute zum Zoll. Und der sitzt ganz hoch droben.

 

Zunächst aber holpern wir auf Wellblechpiste zum Geysir »Sol de Mañana« (4860m). Schon von weitem steigt einem der Geruch nach faulen Eiern in die Nase. Schwefel-Fumarolen und Lava-Schlammlöcher … in dem riesigen Loch in der Erde dampft und blubbert es gleich an mehreren Stellen. Weiter geht’s durch eine Landschaft, die aussieht wie von einem anderen Stern. Wären da nicht die Schneereste neben dem Weg und auf den Berggipfeln, man könnte meinen, über den Mond zu reisen. Überall loser Schutt und Geröll in Grau und Rotbraun.

 

Mitten in dieser Steinwüste ein Wegweiser: Zoll – nach links. Die Zollstation liegt 80km im Landesinneren mitten auf dem Gelände einer Borax-Mine, auf einer Höhe von etwas über 5.000 Meter. Der vermutlich höchste Zollposten auf unserer ganzen Reise ist erstaunlich gut ausgestattet: Computer und Internetanbindung. Nur leider kein W-Lan.

 

Die »Laguna Colorada«, die rote Lagune, macht ihrem Namen alle Ehre. Schon von oben sehen wir die Rotfärbung des Wassers. Der hohe Kupferanteil im Wasser färbt die Lagune blutrot. Mittendrin erheben sich kleine Borax-Inseln – wie die weißen Tupfer auf einem Fliegenpilz. Algen lassen einzelne, kreisrunde Flächen grün schimmern. Gelbes Andengras rahmt die Lagune ein. Nur die Flamingos, die im Wasser umher staksen, heben sich mit ihrem rosafarbenen Gefieder nicht so richtig ab. Als die untergehende Sonne den Himmel ebenfalls ganz in Rosa taucht, haben die Flamingos voll und ganz verloren. In Gruppen scharen sie sich an den Ufern der Lagune zusammen, dort nämlich, wo heißes Wasser sprudelt. Auch unser Wasser im Auto fließt wieder. Vorsichtshalber entleeren wir die Wasserpumpe – für den Fall, dass es diese Nacht wieder so kalt wird wie in der Nacht zuvor. Doch diesmal sinkt die Innentemperatur »nur« auf -7°C.

 

Vor die Entscheidung gestellt, den kurzen oder den langen Weg zu den restlichen Lagunen im Norden zu nehmen, wählen wir natürlich den langen – und fahren über Villa Mar und Villa Alota zur Laguna Canapa. Wir wissen, dass es von der Hauptstraße weg zwei Zufahrtswege zur Laguna Canapa gibt, verpassen aber die erste mangels Ausschilderung. Bei der zweiten Zufahrt sind wir uns – bis zu dem Moment, in dem die Lagune am Horizont auftaucht –

nicht sicher, ob es überhaupt ein Weg ist, auf dem wir uns da vorwärts kämpfen. Der Weg ist steinig und steil. So steil, dass ich für mich spätestens nach fünfzig Metern beschlossen habe, diesen Weg unter gar keinen Umständen zurück zu fahren. Komme, was da wolle.

 

Die »Laguna Canapa« liegt wunderschön in einem Talkessel und beheimatet dutzende von Flamingos unterschiedlichster Art. Drei Arten soll es hier geben, die chilenischen Flamingos, die Anden-Flamingos und die James-Flamingos. Zu erkennen an der Farbe der Schnäbel, der Federn und der Knie. Eine Weile versuchen wir herauszufinden, wer wer ist. Doch dann geben wir auf und nennen die Tiere ab sofort nur noch »James«. Dass die »Laguna Hedionda« beliebtes Ausflugsziel und Anlaufstelle der Tourbusse ist, merkt man – wenn nicht an der stattlichen Anzahl an Tourbussen auf dem Parkplatz – spätestens am Verhalten der Flamingos. Die sind hier nämlich im Gegensatz zu ihren Kollegen an den anderen Lagunen kein bisschen fotoscheu und lassen sich auch dann nicht bei der Futtersuche stören, wenn ihnen die Touristen ziemlich nah auf die Pelle rücken. Die »Laguna Hedionda« schimmert übrigens zur Mittagszeit ähnlich grün wie die »Laguna Verde« - da verwundert es kaum, dass die »Laguna Chiar Khota« eine ähnliche Rotfärbung aufweist wie die »Laguna Colorada«, nur eben im kleineren Maßstab.

 

Da wir einen anderen Weg zurück fahren müssen, als den, den wir gekommen sind, biegen wir an der Laguna Hedionda Richtung Villa Alota ab. Der Weg führt quer übers Altiplano, vorbei an Salaren und Felsformationen. Keine steilen Stücke. Keine steinigen Passagen. Nur eine Flussdurchfahrt. Dort wo der Weg auf die Hauptstraße trifft, markiert ein klitzekleines Steinmännchen den Abzweig. Das hatten wir wohl bei der Herfahrt übersehen …

 

Chile:

 

Der Grenzort Ollagüe ist ein staubiges Nest mitten im Altiplano. Sonntag Mittag sind die Gassen wie leer gefegt – und das liegt sicherlich nicht nur an dem beißenden Wind, der hier bläst. Ein paar Fensterläden schlagen gegen Häuserwände, von denen der Putz abbröckelt. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. So verlassen der Ort wirkt, so viel Charme strahlt er auch aus. Ist er doch wenigstens authentisch. Die Straße führt immer parallel zur Bahnlinie Uyuni – Antofagasta, vorbei am Salar Carcote und am Salar de Ascotan. Ab und zu eine Minensiedlung – das war’s. Der Altiplano wirkt hier ziemlich verlassen und trostlos. Kurz vor Calama liegt rechterhand die Kupfermine »Radomiro Tomic«. Deutlich sind die riesigen Abraumhalden und die Schlote der Verhüttungsanlage zu sehen. Nur ein paar Kilometer entfernt, in Chuquicamata, liegt die größte Kupfermine der Welt – und gleichzeitig der größte Arbeitgeber der Region. Dass die Minenarbeiter in Chile zu den besser verdienenden Menschen gehören, merkt man nicht nur an den Häusern und Autos, sondern leider auch an den Preisen in den Geschäften.

 

Wir wollen in Calama nur schnell die nötigsten Vorräte aufstocken. Doch da gerade Winterschlussverkauf ist, fällt der Aufenthalt in dieser ansonsten wenig attraktiven Stadt länger aus als geplant. Über die »Baños de Turi« (gute Infrastruktur, nur leider kein Wasser) fahren wir nach Toconce, einem 400-Seelen-Dorf in den Bergen. Hier waren wir vor vier Jahren schon einmal. Hier haben wir schon einmal gefragt, ob die Straße über Linzor zu den Tatio-Geysiren befahrbar ist. Damals war die Straße lediglich ein schmaler Feldweg, zugewachsen und voller Steine. Toconce wirkt so ausgestorben wie einst. Nur die Polizeistation ist besetzt, wie damals… Der Polizist rät uns ab, die Straße über Linzor zu nehmen. Sie sei zwar im Prinzip befahrbar, aber in schlechtem Zustand. Man könne schon durchkommen, aber nur mit Allrad. Wir wollen es versuchen. Glücklich wirkt er nicht, über unsere Entscheidung. Dann bittet er uns, dass wir ihm, falls wir umdrehen, oder anderenfalls seinem Kollegen hinter den Geysiren, Bescheid geben, damit er weiß, ob er uns einen Suchtrupp hinterher schicken muss oder nicht. Tolle Aussichten.

 

Anfangs ist der Weg hervorragend. Breit und eben führt er übers Altiplano und wartet hinter jeder Ecke mit atemberaubenden Ausblicken auf. Doch dann wird er zusehends steiler und enger. Irgendwann bekommt er außerdem eine gefährliche Schräglage – natürlich, wie könnte es anders sein – in Richtung Abhang. Über die erste prekäre Stelle manövrieren wir uns noch drüber. Auch noch über die zweite. Doch als sich der Landy spürbar zur Seite neigt, geben wir uns geschlagen – und stehen vor dem nächsten Problem: Wir würden ja gern umkehren … aber wie? Der Weg ist schmäler als unser Auto lang ist. Auf der einen Seite geht es den Abhang runter, auf der anderen die Böschung hoch. Nirgends eine Ausweichstelle, in der wir wenden könnten. Wir versuchen es rückwärts, ein paar Meter, aber das bringt uns auch nicht weiter. Bleibt uns nur noch eine Lösung: Wir schaufeln uns unseren Wendeplatz selbst – und dann ist Wenden in 200 Zügen angesagt. Als wir uns in der Polizeistation in Toconce zurück melden, ist der Polizist sichtlich erleichtert. Er hatte damit gerechnet, dass wir umkehren. Denn für die Schräglage der Straße ist unser Auto einfach zu hoch. Das hätte er uns gleich sagen können … Ja, warum hat er es dann nicht?

 

Neuer Versuch. Diesmal steuern wir die Tatio-Geysire über Caspana an. Die Straße ist gut ausgebaut und in hervorragendem Zustand – bis zu dem Moment, wo sie auf die Tourbus-Route von San Pedro de Atacama zu den Geysiren trifft. Ab da ist sie die schlimmste Wellblechpiste seit Beginn unserer Reise. Die tiefen, unregelmäßigen Rillen verdonnern uns zur Schleichfahrt. Das ganze Auto scheppert und klappert, dass man meinen könnte, es fällt gleich auseinander. Als wir die Tatio-Geysire erreichen, ist es bereits stockdunkel. Aus der Ferne sehen wir mehrere Lichter und fragen uns, ob das wohl andere Reisende sind, die – wie wir – die Nacht hier verbringen wollen. Doch weit gefehlt … die Lichter gehören zu einem Besucherzentrum, Hostel und Kassenhäuschen. Und kaum haben wir unser Auto geparkt, ist auch schon jemand da, um abzukassieren,  7 Dollar pro Person. Auf unsere erstaunte Frage, warum es denn plötzlich Geld kostet, sich ein paar Dampf ausstoßende Fumarolen anzuschauen, antwortet man uns, wir würden damit die indigene Gemeinschaft – (welche eigentlich?) – unterstützen. Aha … und was haben wir davon? Auch darauf weiß man eine Antwort: Wir dürften die Toiletten des Hostels benutzen. Außerdem drückt man uns ein Hochglanz-Prospekt in die Hand, das auf vielen Seiten wortreich erklärt, dass man besser nicht in einen Geysir fallen sollte. Ach was …

 

Am nächsten Morgen beenden pünktlich um 6.30 Uhr die ersten Tourbusse die Nachtruhe. Die Dampfwolken der Geysire sind nämlich nur in den Morgenstunden zwischen 6.30 und 8.30 Uhr zu bewundern, da zu dieser Zeit die Luft noch so kalt und trocken ist, dass der Dampf auch tatsächlich sichtbar ist. Außerdem kommt ab etwa 8 Uhr Wind auf, der den Dampf nach unten drückt. Vorher aber steigt er senkrecht in die Höhe – bis zu 10 Meter hoch. Überall kommt Dampf aus der Erde, überall zischt und brodelt es. Ein faszinierendes Schauspiel. Als sich schließlich der letzte der 17 Tourbusse auf den Rückweg macht, haben wir das Badebecken mit dem heißen Wasser endlich für uns allein. Übrigens befindet sich an der Stelle, an der die Straße von Toconce über Linzor – jene Straße, auf der wir umdrehen mussten – ins Geysirfeld einmündet, kein Kassenhäuschen. Aber die Strecke wird ja auch nicht von den Tourbussen und den Touristen befahren.

 

San Pedro de Atacama ist ein staubiger, kleiner Wüstenort und idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die Atacama-Wüste, zum Salar de Atacama und ins Altiplano. Nur wenig hat sich in den letzten vier Jahren verändert. Ein paar neue Hotels, ein Geldautomat, Internet-Cafés. Noch immer buhlen die gleichen Restaurants mit den gleichen Namen um Kunden, noch immer streunen die Hunde durch die Straßen. Verändert hat sich lediglich das Angebot der Touranbieter. Während bei unserem ersten Besuch hauptsächlich Besteigungen der umliegenden Vulkane offeriert worden sind, stehen heute Spaß-Ausflüge auf dem Programm: Sternegucken im Valle de la Luna, Sonnenuntergang am Salar, Sandboarden in der Cordillera del Sal. Wir fahren auf eigene Faust zur Laguna Lejia und zum Vulkan Lascar. Wir bestaunen die verwitterten Felswände der Cordillera del Sal, die von Wind und Wasser an vielen Stellen schon so ausgehöhlt und abgetragen sind, dass sie wie lehmverschmierte Pappmaché-Bauten wirken – und im Übrigen auch so klingen, wenn man dagegen klopft. Wir werfen von oben einen Blick auf das Valle de la Luna, das angeblich ein uralter, aufgefalteter Seeboden sein soll und den Namen »Mondtal« wegen seiner  außergewöhnlichen Felsformationen trägt. Und natürlich besuchen wir auch den Salar de Atacama, der mit seiner weiß-braunen aufgeworfenen Oberfläche ganz anders aussieht als die meisten Salare.

 

Aus Nostalgie-Gründen quartieren wir uns eine Nacht im Hotel »Katarpe« ein und schlagen uns im Restaurant »Casa Piedra« die Bäuche voll – bevor wir uns auf den langen Weg über den »Paso Sico« nach Argentinien machen. Auf asphaltierter Straße geht es zunächst nach Socaire, einem 128-Seelen-Dorf mit grasgedeckter Lehmkirche. Ein »malerisches« Dorf – wie ein Schild am Ortseingang schon verkündet. Dann führt eine gute Schotterpiste hinein in die Berge, die zu dieser Jahreszeit zum Teil schneebedeckt sind.

 

Argentinien:

 

Welch ein Unterschied: Auf der argentinischen Seite ist der Altiplano knochentrocken. Nirgends auch nur ein Fitzelchen Schnee zu sehen. Dafür aber ist es bitterkalt. Kurz vor »San Antonio de los Cobres« biegen wir ab und machen einen kurzen Abstecher zum Viadukt »La Polvorilla«. Hier auf 4200 m Höhe führt die Bahnlinie von Salta (Argentinien) nach Antofagasta (Chile) über eine gigantische Stahlbrücke, 224 Meter lang, 64 Meter hoch. Die Bahnstrecke, auf der einst das Kupfer an die Küste transportiert worden war, machte später als »Tren a las Nubes – Zug in den Wolken« auch als Touristenattraktion Karriere. Doch seit zwei Jahren  fährt der Zug nicht mehr – und so müssen wir das Viadukt wohl oder übel ohne Lok und Wagons fotografieren. Schade. 

 

Über »San Antonio de los Cobres« geht es weiter durch die »Quebrada del Toro« - stetig bergab, bis wir den Altiplano schließlich verlassen und uns den Weinanbaugebieten Argentiniens und der berühmten »Ruta del Vino – der Straße des Weins« zuwenden. Na, denn Prost und bis zum nächsten Mal.


Bildergalerie