Reisebericht 17 vom 24.11.06 – 04.12.06: Nicaragua, wunderbares Land  


Route: Ocotal – Esteli – Jinotega – Matagalpa – León – Chinantega – Potosi – El Rosario – Xiloa – Masaya – Granada – Laguna Apoyo – Jinotepe – San Juan del Sur – Peñas Blancas


Zugegeben, wir hatten keine Ahnung, was uns in Nicaragua erwarten würde. Alles, was wir von diesem Land wussten, war, dass dort Kaffee angebaut wird. Aber das konnte ja schließlich nicht alles sein. Dementsprechend neugierig sind wir auf dieses unbekannte Land, als wir Honduras hinter uns lassen und nach Nicaragua einreisen. Die ersten Städte entlang unseres Weges, Ocotal und Esteli, sind geschäftig und für unseren Geschmack fast ein bisschen zu hektisch. Wir wollen erst einmal Natur sehen. Und so biegen wir jeder einmal ins Hinterland ab. Eine gute Entscheidung, wie sich schon bald herausstellt. Im Reserva Natural Tisey-Estanzuela laden Pinienwälder zum Wandern ein. Und von den Aussichtspunkten hat man atemberaubende Ausblicke auf den Vulkangürtel. Auch für die Fahrt nach Jinotega und Matagalpa wählen wir eine Nebenstrecke abseits der Hauptstraße – und quälen uns auf teilweise sehr abenteuerlichen Pisten durchs Hinterland, vorbei an Pferde- und Rinderfarmen, durch Dörfer, in denen es weder Strom noch Wasser und schon gar keine Autos gibt. Und damit auch keine Straßen, die für Autos gemacht sind. Nur langsam kommen wir voran, mehrmals stehen wir ratlos vor Abzweigungen und müssen nach dem Weg fragen. Nach mehreren Stunden erreichen wir schließlich wieder die Teerstraße – doch wir freuen uns zu früh. Die Schlaglöcher erinnern in ihren Ausmaßen an Meteoriten-Krater und treten so zahlreich auf, dass es nicht möglich ist, nicht mit mindestens zwei Rädern darin zu versinken.

 

In der Nähe von Matagalpa wollen wir eigentlich dem „Selva Negra“, dem Schwarzwald Nicaraguas einen Besuch abstatten. Dieses „Urlaubs-Resort“ wird von Deutschen geführt - und kostet Eintritt. Wir fragen an der Schranke höflich nach, ob wir evtl. in der Anlage übernachten könnten und werden barsch abgewiesen: Wir könnten uns für 50 US-Dollar ein Zimmer nehmen – oder verschwinden. Wir entscheiden uns für die zweite Option und wundern uns

wieder einmal darüber, dass es gerade die Deutschen sind, die durch ihre ausgesprochene Unhöflichkeit auffallen.

 

Als wir in León ankommen, ist es Sonntag Nachmittag – und die Stadt wie ausgestorben. Alle Geschäfte haben zu. Nirgends ist ein Mensch zu sehen. Erst abends erwacht die Studentenstadt zum Leben. Kurz nach Sonnenuntergang treffen sich alle auf der Plaza, dann werden Ess-Stände aufgebaut und die Jugend-Gangs vollführen auf dem Platz vor der Kirche Kunststückchen auf ihren Rädern. Natürlich machen wir auch einen Abstecher nach León Viejo, das „alte León“, das durch einen Vulkanausbruch zerstört wurde – und nun UNESCO Weltkulturerbe ist. Doch die Ruinen sind eher enttäuschend. Von den Bauwerken stehen nur noch ein paar spärliche Mauerreste. Mit viel Fantasie kann man die Grundrisse erkennen. „Hier stand einmal ein Wohnhaus eines reichen Kaufmanns“, erklärt uns unsere Führerin. Aha, sagen wir und wundern uns schon wieder. Diesmal darüber, wie wenig doch ausreicht, um den Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

 

Am nächsten Tag sind wir einen ganzen Tag lang unterwegs – wie immer auf sandiger und steiniger Holperpiste – ans nördliche Ende Nicaraguas, um den Vulkan Cosigüina zu besteigen. Er ist zwar nur etwas mehr als 800 Meter hoch, trotzdem hat man von oben einen fantastischen Blick auf den Golf Fonseco und auf die Küstenstreifen von Honduras und El Salvador. Das Gebiet um den Vulkan herum ist ein Naturreservat, das – initial finanziert durch US-Entwicklungsgelder – die Natur vor Raubbau bewahren soll und unter anderem auch die Meeresschildkröten, die am Strand ihre Eier ablegen, vor dem Menschen schützen soll. Doch dieses Jahr, so erklärt uns der Ranger im Visitor Center in El Rosario, schützen sie die Schildkröten nicht. Sie müssten Taschenlampen kaufen, um nachts den Strand ablaufen zu können. Aber dafür sei gerade kein Geld da. Vielleicht nächstes Jahr wieder. Im gleichen Atemzug knöpft uns der Ranger für Übernachtung auf dem Gelände des Visitor Centers, für Eintritt ins Reservat und für die Wanderung zum Gipfel auf einem zugewachsenen Trampelpfad 18 US-Dollar ab. Und schon wieder wundern wir uns. Diesmal darüber, wie teuer wohl eine Taschenlampe in Nicaragua sein mag.

 

Am Seeufer des Lago Managua treffen wir Aldo und Christine aus Meran, die mit ihrem Toyota in der Gegenrichtung unterwegs sind. Die beiden wollten eigentlich schon abreisen, doch dann gibt es so viel zu besprechen und auszutauschen, dass sie uns noch einen ganzen Tag Gesellschaft leisten. Endlich können wir mal wieder ausschlafen, ohne Motorenlärm oder laute Musik. Der nette Nachtwächter vom Touricentro kommt sogar eigens noch mal vorbei, um uns zu versichern, dass er des nachts ein Auge auf uns hat.

 

Gut erholt machen wir uns auf den Weg zum Vulkan Masaya. Da Zentralamerikaner im allgemeinen nicht gern laufen, kann man in diesem

Nationalpark mit dem Auto bis zum Kraterrand fahren. Aus dem Krater des aktiven Vulkanssteigen scharfe Schwefeldämpfe auf, die schon nach wenigen Minuten merklich im Hals kratzen. Und wenn man genau hinhört, dann kann man aus der Tiefe ein bedrohliches Grollen vernehmen. Dreht man sich vom Krater weg, dann kann man unten im Tal die Stadt Masaya liegen sehen. Nur wenige Kilometer trennen die Einwohner dieser Stadt von dem brodelnden Vulkan. Selbst der Zugang zum Nationalpark Masaya befindet sich quasi mitten in der Stadt.

 

Nächstes Ziel ist Granada. Diese Kolonialstadt gefällt uns viel besser als León. Granada hat Flair. In einer hübschen Pizzeria feiern wir Reisekilometer Nummer 40.000 – bevor wir uns ins Nachtleben stürzen.

 

Als wir auf die Panamericana, die in Zentralamerika übrigens Interamericana heißt, einbiegen, passiert’s. Eine Polizeistreife hält uns an. Angeblich sind wir mit 80 kmh am 45-kmh-Schild vorbeigerauscht. Wir haben nichts gesehen. Also drehen wir um und lassen uns das „Schild“ zeigen. Mit weißer Farbe steht auf der Fahrbahn: „45 kmh – Escuela“ (Schule). Kein Schild also. Und übrigens auch keine Schule, denn heute ist Sonntag. Der Polizist droht damit, uns einen Strafzettel über 100 US-Dollar auszustellen und den Führerschein einzuziehen, so lange, bis wir die Strafe gezahlt hätten. Wir weigern uns und wollen weder Geld  noch Führerschein hergeben. Jetzt droht der Polizist an, uns zu verhaften und ins Staatsgefängnis nach Managua zu bringen. Das Spiel beginnt. Die Spielregeln sind immer die gleichen – am Ende kostet es den Reisenden entweder Zeit oder Geld. Zumindest Zeit haben wir genug. Doch natürlich erklären wir dem Polizisten, dass wir gar keine Zeit hätten, zur Bank zu gehen, um den Strafzettel zu bezahlen, da wir bereits unterwegs zur Grenze seien. Jetzt beginnen die Verhandlungen. Der Polizist zeigt sich „verständnisvoll“. Wir fragen, ob man die Angelegenheit nicht anders regeln könne. Der Polizist nickt. Ausnahmsweise könne man die Strafe bei ihm bezahlen. Bar. Wir einigen uns auf 10 Dollar. In der Zwischenzeit habe ich heimlich den Geldbeutel ausgeräumt. Vor den Augen des Polizisten kratze ich unser letztes Geld zusammen (schließlich sind wir ja offiziell auf dem Weg zur Grenze) – und halte ihm ein paar Cordobas, umgerechnet etwa 3 Dollar, unter die Nase. Er steht nun vor der Entscheidung, die paar Kröten zu nehmen oder gar nichts zu bekommen – und nimmt das Geld. Wir haben nichts anderes erwartet.

 

Natürlich sind wir noch nicht auf dem Weg zur Grenze. Nachdem Aldo und Christine uns von den Meeresschildkröten vorgeschwärmt haben, die gerade nachts am Strand des Reservats La Flor hinter San Juan del Sur ihre Eier ablegen, wollen wir auch Schildkröten sehen. Doch die Saison ist so gut wie zu Ende. Vom Ranger erfahren wir, dass in der letzten Nacht nur eine einzige Schildkröte an Land gekommen ist. Wir gehen das Risiko ein, zahlen den – sehr hohen – Eintritt und machen uns auf den Weg zum Strand. Vor 22 Uhr sei ohnehin nicht mit den Tieren zu rechnen, erklärt uns einer der Ranger, die den

Strand ablaufen und nach den Schildkröten Ausschau halten, aber mit etwas Glück könnten wir heute vielleicht schon die ersten Jungen schlüpfen sehen. Etliche Male laufen Tobias und ich den Strand auf und ab. Wir sind hundemüde und können nur noch mit Mühe unsere Augen offen halten. Weit und breit ist nichts zu sehen. Doch dann bemerken wir einen klitzekleinen Schatten neben uns. Er bewegt sich aufs Wasser zu. Mit einem Schlag sind wir hellwach. Und dann sehen wir hunderte – wirklich hunderte – von winzigen Schildkröten, die aus ihren Nestern krabbeln und sich auf Wanderschaft begeben. Es ist ein weiter Weg für die kleinen Schildkröten und immer wieder müssen sie eine Verschnaufpause einlegen. Nur schwer widerstehen wir dem Drang, helfend einzugreifen, denn die Schildkröten-Babys müssen selbst ins Meer laufen. Nur so können sie später an diesen Strand ihrer Geburt zurückkehren, um hier ihre Eier abzulegen. Irgendwann holt uns die Müdigkeit ein, wir schleppen uns zum Landy und schlafen auf der Stelle ein. Und zumindest ich träume in der Nacht von Schildkröten.

 

Am nächsten Morgen machen wir uns dann tatsächlich auf den Weg zur nächsten Grenze, zum nächsten Land - zuerst auf einer Nebenstrecke über die Bahia Ostitional. Doch als dann aufgrund der Regenfälle die Straße nicht mehr vorhanden ist, kehren auch wir zurück auf Interamericana.

 

Nicaragua hat uns gut gefallen. Nette Menschen, schöne Natur - aber keine „spektakulären“ Sehenswürdigkeiten, die einen vom Hocker reißen. Darüber hinaus sind die Preise, die von Touristen verlangt werden, um die Sehenswürdigkeiten des Landes zu besichtigen, zu hoch und stehen leider in keiner Relation zum sonstigen Preisgefüge des Landes. Nicaragua ist trotz allem einen Besuch wert.


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