Reisebericht 14 vom 28.09.06 – 21.10.06: Guatemala - Ein Land im Aufbruch


Route: Tikal – El Remote – Santa Elena – Poptún – Fray Bartolomé de la Casa – Lanquin – Semuc Champey – Cobán – Chisec – Laguna Lachuá – Chisec – Cobán – Sacapulas – Totonicapan – Todos Santos – San Andrés – Fuentes Georgina – Chichicastenango – Lago Atitlán – Panajachel – San Pedro de Atitlán – Sololá – Antigua – Guatemala City


Einfach und problemlos reisen wir aus Belize aus und nach Guatemala ein – und sind erst einmal positiv überrascht, in welch gutem Zustand die Straßen sind. Keine  schlaglochgespickten Straßen wie in Mexiko oder holprigen Erdpisten wie in Belize, sondern breite, gut ausgebaute Landstraßen mit befestigtem Seiten- und Mittelstreifen erwarten uns gleich nach der Grenze. Endlich kann Tobias mal so richtig Gas geben – so gut das mit einem drei Tonnen schweren Landrover Defender eben geht. Unser erstes Ziel in Guatemala ist Tikal. Wir erreichen die archäologische Maya-Stätte am späten Nachmittag. Nach 16 Uhr ist der Eintritt frei und so machen wir noch einen kleinen Spaziergang zum Sonnenuntergang in die Anlage. Abends erwacht der Regenwald erst so richtig zum Leben. Über uns raschelt es in den Baumwipfeln, Brüllaffen springen von Ast und Ast und Vögel kreischen um die Wette. Mitunter ist die Geräuschkulisse so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Obwohl die Gegend um Tikal geradezu dazu einlädt, in mehrtägigen Fuß- und Fluss-Märschen den Regenwald zu erkunden, unternehmen wir nichts dergleichen. Schon seit Mexiko werde ich das Gefühl nicht los, dass mich die Moskitos und ihre Kollegen, die Black-Flies zum Fressen gern haben. Eine Zuneigung, die nicht auf Gegenseitigkeit beruht.

 

In Santa Elena an der Tankstelle lassen wir erst einmal unseren Landy auf Hochglanz polieren – und zwar kostenlos, da man uns wegen unseres Aufklebers „Pinguino-Tour“ für einen Tourbus hält. Danach geht es weiter nach Poptún zur Finca Ixobel. Dort hoffen wir, andere Reisende, die mit einem eigenen Fahrzeug unterwegs sind, zu treffen. Aber wir haben kein Glück. Dafür treffen wir Robert, den Manager. Er kommt aus Bamberg und fährt ebenfalls einen Defender. Er rät uns ab, wie geplant über El Estor nach Lanquin zu fahren. Zu unsicher. Zu viele Überfälle. Also fahren wir über Fray Bartolomé nach Lanquin. Die unbefestigte Straße führt über unzählige Hügelketten und durch saftige Täler, durch kleine Straßendörfer und vorbei an unendlichen Maisfeldern. Überall entlang der Strecke werden neue Straßen gebaut,

alte Straßen verbreitert oder ausgebessert. Die Männer, die wir unterwegs sehen, winken uns zu und pfeifen zum Gruß. Wenn wir nach dem Weg fragen, erklärt man uns wortreich, wo es lang geht und nimmt sich Zeit für ein kleines Schwätzchen. Die Frauen dagegen flüchten häufig mit Kind und Kegel ins Haus, sobald sie uns erblicken. Unter Teilen der Landbevölkerung hält sich hartnäckig das Gerücht, reiche Europäer kämen nach Guatemala, um Kinder von armen Indigena-Familien zu entführen und als eigene Kinder aufzuziehen. Da bekanntlich jedes Gerücht ein Fünkchen Wahrheit enthält und wir von Reisenden wissen, die durch allzu argloses Knipsen ernsthaft in Schwierigkeiten geraten sind, halten wir uns mit dem Fotografieren zurück.

 

Wir erreichen Lanquin nach ca. 6 Stunden Fahrt und fahren gleich weiter nach Semuc Champey, dem „Ort, an dem das Wasser in der Erde verschwindet“. Hier fließt der Fluss im Canyon eine große Strecke unterirdisch,so dass das Dach der Höhle eine 300 Meter lange natürliche Brücke bildet. In hunderten von Jahren wurde der Kalkstein immer weiter ausgewaschen, so dass sich natürliche Pools gebildet haben, die zum Baden einladen. Als wir zum Aussichtspunkt aufsteigen, erfahren wir, was es heißt, in der Regenzeit  durch den Regenwald zu laufen. Es regnet. In weniger als einer Sekunde sind wir nass bis auf die Haut. Und ehe wir uns versehen, verwandelt sich die Erde unter uns in ein riesiges Schlammloch.

 

Über Cobán und Chisec geht es weiter Richtung Playa Grande und Laguna Lachuá. Dort irgendwo soll es eine Kaffeeplantage geben, auf der man übernachten kann – so haben wir im Internet recherchiert. Die Straße ist in schlechtem Zustand. Die Brücken über den Fluss sind notdürftig mit losen Brettern befestigt. Die Menschen, die in hier leben, sind arm. Sie wohnen in einfachen Holzhütten, ohne Fußboden, ohne Fenster, ohne Türen. Um sich vor

Blicken zu schützen, hängen sie einfach eine Decke vor den Eingang. Hühner und Schweine gehen in den Hütten ein und aus, Kinder suhlen sich im Dreck. Es riecht nach Kardamom – denn auch der wird hier angebaut. Wir brauchen länger als wir dachten, und so fahren wir schon bald in völliger Dunkelheit. Von der Kaffeeplantage ist weit und breit nichts zu sehen. Wir befürchten schon, einen falschen Abzweig erwischt zu haben und fragen nach. Doch auch das hilft uns nicht weiter. Schließlich fahren wir zurück zum Eingang der Laguna Lachuá, um dort auf dem Parkplatz zu übernachten. Am nächsten Morgen bei Tageslicht finden wir endlich den Weg zur Kaffeeplantage. Aber übernachten kann man hier nicht mehr, denn die Finca ist längst verlassen. Aber wer glaubt schon, was im Internet steht?

 

Anschließend steht wieder einmal ein Höhlenbesuch auf dem Programm. Genau genommen sind es sogar zwei Höhlen, beide kurz hinter Chisec gelegen, die wir erkunden wollen. Die erste, heißt in der Sprache der Q’eqchi’-Mayas „Juq’il“, Höhle der Luft. Und tatsächlich weht uns eine kühle Brise entgegen, als wir in die Höhle hinabsteigen. Unten warten tausende von Stalaktiten auf uns. In mehreren Reihen hängen sie von der Decke herab und schimmern im Schein unserer Stirnlampe in unterschiedlichen Farben. Die zweite Höhle heißt „B’omb’il Pek“, Bemalter Stein. Von einer riesigen Eingangshalle führt ein schmaler Durchgang in eine zwei dahinter liegende Säle mit Felsmalereien. Nichts für Klaustrophobe – und damit nichts für mich. Tobias muss durch. Nach einigen erfolglosen Anläufen – mit dem Kopf zuerst oder vielleicht och mit den Füßen voran – schiebt er sich auf der Seite liegend durch den Kanal. Und weg ist er. Als er zurück kommt, ist er über und über mit Schlamm bedeckt. Doch so richtig gelohnt hat sich die Schlammschlacht nicht, denn außer den drei Figuren, die auch schon in unserem Reiseführer abgebildet waren, gab es nichts zu sehen. Aber wenigstens gibt’s am Eingangshäuschen zu den Höhlen Duschen. So können wir den gröbsten Dreck gleich wieder abkratzen, bevor wir nach Cobán zurückfahren.

 

Die Straße von Cobán Richtung Usuptan führt in steilen Serpentinen durch die Berge und ist, wenn man von wenigen Ausnahmen absieht, in einem ausgezeichneten Zustand. Trotzdem kommen wir nur langsam voran, weil es durch unzählige Baustellen entlang der Strecke immer wieder zu langen Wartezeiten kommt. Die Nacht verbringen wir in Sacapulas, einem kleinen Ort am Rio Negro. Wir stellen uns wie üblich direkt an die Plaza, genau vor die

Polizeiwache.

 

Todos Santos, ein Ort in den Bergen, ist wegen der Tracht seiner männlichen Einwohner berühmt. Die Männer tragen rot-gestreifte Hosen aus einem dicken Wollstoff, ein aufwändig besticktes Hemd, darüber eine ebenfalls bestickte, kurze blaue Jacke und natürlich Hut.

 

Es ist Freitag abend, als wir Totonicapan erreichen. Am Samstag ist großer Markttag an der unteren Plaza. Auch die obere Plaza scheidet als

Übernachtungsplatz aus, weil diese zugleich als Parkplatz als auch als Busbahnhof dient. Angesichts der engen Straßen und dem fast durchgängigen Parkverbots in der Stadt, sind wir zunächst ratlos. Doch dann erinnert sich Tobias daran, dass er am Ortseingang die Wache der Freiwilligen Feuerwehr und der Ambulanz gesehen hat. Dort wird der „Kollege aus Deutschland“ mit großem Hallo begrüßt. Ehrensache, dass wir hier übernachten können, meint der Schichtleiter und weist uns persönlich in die Parklücke ein. Selbstverständlich dürfen wir auch die sanitären Einrichtungen, die Küche und den Fernsehraum mit benutzen. Alles kein Problem. Nur als wir vom Abendessen aus der Stadt zurückkommen und sagen, wir hätten das neue Theater nicht gesehen, runzelt der Chef besorgt die Stirn. Kurzerhand verfrachtet er uns in eines der Feuerwehrautos und dann geht’s mit Blaulicht ins Zentrum und zurück. Am nächsten Morgen mischen wir uns unters Volk und bummeln ausgiebig über den Markt. Auf diesem Markt versorgen sich die Bewohner der umliegenden Orte mit allem, was sie zum Leben brauchen: Stoffe, Kleidung, Haushaltsartikel, Werkzeuge, Obst und Gemüse, Reis, Mais, Fische und Fleisch.

 

In San Andrés Xecul, einem kleinen steilen Bergdorf, gibt es nichts weiter zu sehen als eine kitschige, quietschbunte Kirche. Vor allem bei Sonnenschein und einem strahlend blauen Himmel ist die gelbe Außenfassade der Technicolor-Kirche ein dankbares Fotomotiv. Zudem hat man vom Ort aus einen guten Blick über das gesamte Tal, in dem auch Xela liegt, wie die Stadt Quetzaltenango von den Einheimischen genannt wird. Wir halten uns nicht lange in Xela auf, sondern fahren zügig weiter nach Zunil und von dort auf einer malerischen, wenn auch nebligen Bergstrecke zu den heißen Quellen Fuentes Georgina. Inmitten tropischer Vegetation, eingehüllt von dichten und vor allem

kühlen Nebelschwaden genießen wir das Bad im heißen Wasser.

 

Der Markt von Chichicastenango, der immer Donnerstags und Sonntags abgehalten wird, gilt als der farbenprächtigste Markt im ganzen Land. Tatsächlich gehen uns angesichts der vielen bunten Trachten und der farbenfroh gewebten Stoffe und Tücher uns fast die Augen über.

 

Noch bevor wir das Ufer des Lago Atitlán erreichen, noch bevor wir einen Blick auf die Vulkankegel, die das Seeufer säumen, erhaschen können, springen uns schon die ersten Werbeplakate der Luxushotels an. In der Stadt selbst sieht es nicht besser aus. Dort wo kein Hotel, kein Restaurant, keine Bar und keine Reise-Agentur ist, befinden sich Souvenir-Stände, Klamotten-Läden und Kunstgalerien. Wir flüchten, raus aus diesem künstlichen Ort, in einen Campingplatz auf der anderen Seite des Flusses. Der Besitzer ist Amerikaner, Hippie der alten Garde und kritischer Betrachter des Weltgeschehens. Laut Maya-Kalender, so verrät er uns, befinde sich die Welt gerade in einiger schwierigen Phase. Die Venus kreuzt die Sonne – oder so ähnlich – und in den nächsten Jahren werde sich herausstellen, ob es mit dem Planeten Erde bergauf oder bergab gehe. Von ihm erfahren wir auch, dass Korea eine Atombombe gezündet hat. Keine Frage, es geht bergab. Auf dem Weg nach San Pedro de la Laguna, einem voll-touristischen Ort am anderen See-Ufer machen wir noch einen kleinen Abstecher auf den Markt von Sololá, der ähnlich wie schon der Markt in Totonicapan erfrischend authentisch ist.

 

Der Vulkan San Pedro zeigt sich bedeckt, als wir zu seinem Krater hochsteigen wollen. Wir ändern unsere Pläne und gehen stattdessen auf den Berg Nariz del Indio. Pedro, unser Guide – selbstverständlich haben wir einen Guide, denn angeblich wird man sofort überfallen, sobald man einen Schritt allein unternimmt –, ist mindestens dreißig Jahre älter als wir, legt aber ein Tempo vor, das uns beide ganz schön alt aussehen lässt. Nach eineinhalb Stunden – statt wie ausgeschildert nach zweieinhalb Stunden – erreichen wir den Gipfel und sehen für ungefähr zehn Minuten die Spitze des Vulkans San Pedro, bevor sich die Wolkenwand aus dem Tal nach oben schiebt und ihn komplett eingehüllt. Pedro grinst übers ganze Gesicht. Natürlich hatte er es gewusst.

 

Mit jedem Kilometer, den wir uns Antigua nähern, ändert sich die Gegend. Chinesische Restaurants und internationale Küche, malerische Holzhäuschen mit Tischen und Bänken im Freien lösen die Garküchen und Essbuden am Straßenrand ab. Statt LKWs und Pick-ups kommen uns plötzlich flotte Zweisitzer und Cabrios entgegen. Ohne es zu wissen, erreichen wir Antigua an dem Tag, an dem auch der Präsident in der Stadt weilt. Polizei und Militär an jeder Ecke. Wir fragen einen Polizisten nach einem sicheren Übernachtungsplatz und werden prompt auf den rund um die Uhr bewachten Polizei-Parkplatz geleitet. Hier schlagen wir unter einem Guavenbaum unser Quartier auf und von hier starten wir zu unseren Ausflügen in die Stadt. Antigua

hat Charme. Kopfsteinpflaster in allen Straßen, bunte Fassaden, pittoreske Patios und eine Unmenge an Kirchen bestimmen das Stadtbild. Wir beschließen, hier wieder einmal die Schulbank zu drücken und melden uns für einen einwöchigen Sprachkurs an. El Jefe, der Polizeichef, kommt persönlich vorbei, um sich unseren Landy zeigen zu lassen. Unser Schlafzimmer findet er komfortabel, er staunt über unseren Kühlschrank und nickt anerkennend als er unsere Küche in Augenschein nimmt. Wir dürfen bleiben, so lange wir wollen – teilt er sofort der gesamten Truppe mit. Von nun an werden wir in der Stadt von jedem Polizisten gegrüßt. Sogar aus den Polizei-Tuk-Tuks, den dreirädrigen Motorrollern mit Kabine, schallt es uns im Vorbeifahren ein fröhliches „Hola“ entgegen. Wir lernen Spanisch, gehen Wiener Schnitzel und Käsespätzle essen, und besteigen den aktiven Vulkan Pacaya. Als wir oben übers Lavafeld laufen, stehen wir beide zum ersten Mal in unserem Leben vor einem richtigen Lavafluss und sehen staunend zu, wie sich der rot glühende, zähflüssige Brei langsam bewegt. Zwei Abende später passiert das, was ich eigentlich immer vermeiden wollte. Mir bricht ein Stück vom Backenzahn ab und ich muss in Zentralamerika zum Zahnarzt gehen. Alles kein Problem. Der Zahnarzt macht mir anstandslos eine weiße Füllung rein und schwärmt dabei von Deutschland, das er vor einigen Jahren besucht hat.

 

Unser Sprachkurs neigt sich dem Ende zu. Wir treffen uns mit einer Freundin der Familie in Antigua zum Essen. Gleich am naechsten Morgen werden wir vom Cousin eines Freundes nach Guatemala City und an den Lago Amatitlán eingeladen. (Vielen Dank, Mariel, vielen Dank Berni – für eure Gastfreundschaft. Wir hoffen, wir können uns eines Tages revanchieren.)

 

Und dann geht wieder einmal eine Etappe unserer Reise zu Ende. Guatemala hat alle unsere Erwartungen übertroffen. Wir haben uns in diesem Land sicher und wohl gefühlt. Schweren Herzens steuern wir unseren Landy Richtung Grenze. Unser nächstes Ziel heißt El Salvador.


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